der Trugschluss des Winfried Kretschmann

Winfried Kretschmann gibt der taz ein Interview. Ein gutes. Mit dem Titel: “

„Die Menschen wollen Heilige““

Social Media
Quelle: http://inforrm.wordpress.com/

Dabei äußert er sich auf seine ganze eigene Art zu den sozialen Medien. Auf seine Art ein wenig abfällig, wie man das schon von ihm kennt:

[…]Ich bin ein Altgrieche und Anhänger langer Sätze. Ich kann noch Thomas Mann lesen.

Aber Sie halten es für förderlich für die Demokratie, wenn Politiker via Twitter direkt mit Menschen kommunizieren – an klassischen Medien vorbei?

Kretschmann: Ja, durchaus. Aber mir würden sich die Haare sträuben, müsste ich meine Politik in 140 Zeichen erklären.

Insgesamt kritisiert er die Schnelllebigkeit der Informationen und misst sie an ihren Inhalten – und erzählt diese Anekdote:

Es gibt dazu eine Anekdote von Mark Twain. Als das Telefon erfunden wurde, sagte jemand zu ihm: Ist doch schön, jetzt können die Leute von Des Plaines mit denen in Maine reden. Twain antwortete: Aber was, wenn sie sich nichts zu sagen haben? Das trifft es ein bisschen. Diese Medien promovieren das allgemeine Geschwätz. Unsere großen Aufklärer dachten, wenn wir nur die Möglichkeit haben, ohne Zensur das Publikum zu informieren, dann ist der Fortschritt unaufhaltbar. Jetzt merkt man: Das war ein Trugschluss.

Einige meiner Parteifreunde feiern jetzt dieses Interview. Dieter Janecek aus Bayern, Landesvorsitzender dort und bald im Deutschen Bundestag, misst ihm mehr Inhalt bei als manch anderer Politiker in einer Woche produziert. Winfried wie er leibt und lebt. Er ist ein wohltuend nachdenklicher Politiker und ich finde, er ist ein guter Ministerpräsident für dieses Land und alle seine Bürger_innen in der Summe – es gibt mit recht einiges zu kritisieren – aber das ist hier jetzt nicht der Platz.

Ich habe besonders Wert gelegt auf die oben zitierten Stellen. Winfried definiert soziale Medien alleine von ihrem Wert für den Sender also für ihn. Und selbst das wertet er noch ab, in dem er klar macht, dass er ja selbst gar nicht diese Medien nutzt. Er hat dafür Mitarbeiter_innen (und mit dem ehemligen Social Media-Experten der Partei auch noch einen sehr guten). Da er es nicht erwähnt, gehe ich davon aus, dass er sich höchstens mal berichten lässt, was da so los ist, bei Facebook und Twitter und wie das neumodische Zeugs heißt.

Er vergisst dabei aber etwas. Er sieht nicht – und da ist er nicht der Einzige – was diese Medien für einen Wert für die Empfänger_innen haben – und für ihn haben könnten, könnte er wahrnehmen, was Menschen bewegt, die seine Botschaften hören. Er spricht gerne und viel von der „Politik des Gehörtwerdens“ – und meint damit mehr Bürgerbeteiligung, vor allem in Gremien. Bürgerlobby sozusagen. Nun, das ist ein großer Schritt nach vorne gegenüber dem Zustand vorher. Aber gehört werden wollen alle. Er hat recht, wenn er anekdotisch wissen lässt, dass man natürlich nicht alle erhören kann (was ich gerne mal zitiere) – aber sich die Mühe machen, zu hören, was „ganz normale“ Menschen so denken über seine Politik im Speziellen und Politik allgemein – das wäre schon noch mal eine andere Hausnummer. Man muss nicht mit Trollen diskutieren – aber man kann nicht nur auf der Straße und in Hallen mit den Menschen diskutieren. Sondern auch dort, wo sie im Nichtgegenüberstehen den Mut nicht benötigen, den Herrn Ministerpräsidenten persönlich anzusprechen. Ich persönlich kenne solche Ängste nicht (mehr), ich weiß aber wie das ist, wenn mich jemand fragt, ob ich ihn persönlich kenne. (und alle wollen eigentlich nur hören, ob er wirklich so ist, wie er ist 🙂

Mit Recht wird kritisiert, dass viele Politiker_innen und Parteien „das Netz“ nur als weitere Maschine zur Verbreitung ihrer Pressemitteilungen nutzen. Die Idee, hier Menschen schneller zu erreichen, kommt ihnen allen. Wenige – Reinhard Bütikofer als einer der ersten, Volker Beck, Alex Bonde, Peter Altmaier, Ulrich Kelber als einige wenige Beispiel benannt – haben verstanden, dass es gut ist, wenn sie a)wahrnehmen, was ihnen auf diesen Kanälen geantwortet wird und b) sie sich ab und zu die Zeit nehmen, zu antworten. Nicht in formellen Rahmen von Twitterviews, sondern ganz offensichtlich spontan. Auf der Fahrt zum Flughafen, im Zug, Im Taxi, auf der Couch.

Die sozialen Medien sind der Schlüssel, die Bürger_innen ernster zu nehmen, ihre nicht immer fachlich korrekten Termini und nicht immer unaufgeregten Kommentare wahrzunehmen und zumindest zu überlegen, was man denn nicht richtig macht, wenn etwas schlecht ankommt (übrigens wird auch mal gelobt; #flausch #Candystorm) und nicht nur geschimpft.

Wenn etwas nicht verstanden wird, liegt das nicht nur an der Erklärung – sondern oft genug auch daran, wie es kommuniziert wird. Es ist für viele Menschen, die Social Media benutzen ein Fakt, dass sie wissen, dass man einen Minister wie Peter Altmaier nicht permanent erreichen kann. Aber im asynchronen Beantwortungsmodus bekommen sie doch oft genug Antworten, die abseits der Pressemitteilungen und im O-Ton kommen.

Winfried Kretschmann und mit ihm viele andere haben das noch nicht verstanden. Die Mitglieder und Fanboys/-girls der Piratenpartei haben es verstanden – und hat es mit Shitstorms zu allem und jeder/m massiv übertrieben. Social Media als Teil einer liquiden Demokratie ist eigentlich nichts anderes als das Wahrnehmen von Reaktionen auf politisches Handeln. Man kann Pläne besprechen oder vorstellen, sie in den Raum stellen, die Reaktionen darauf abwarten und gegebenenfalls noch diskutieren – und vielleicht über den einen oder anderen Punkt, der kritisiert oder besser angeregt wird, nachdenken. Das ist möglich, wenn man das Medium beherrscht – und nicht das Medium einen selbst.

Die Frage ist, ob aus

Dieses zusammenhanglose Zitieren aus Interviews erzieht uns Politiker zu etwas Falschem. Wenn wir dreimal erlebt haben, dass uns aus dem Zusammenhang gerissene Sätze um die Ohren gehauen wurden, biegt man die Spur gestanzter Phrasen ein.

genau das werden muss, was Winfried sagt. Oder ob man nicht den Mut haben müsste zu sagen: ich versuch das jetzt mal, offensiv. Ich sage: ich schlage etwas vor, die, die ernsthafte Anliegen dazu vorbringen, denen höre ich zu, die die shitstormen, ignoriere ich (don’t feed the Troll) und die Presse, die meint, zusammenhanglos zitieren zu müssen, werde ich eines besseren belehren, in dem ich einfach an diesem Thema mein Ding mache, reagiere, meine Überlegungen offenbare und am Ende eine Entscheidung fälle und diese ebenfalls begründet bekannt mache. In großen Dingen wie dem Nationalpark im Schwarzwald mit Studien, Diskussionen, Podien, Briefumfragen und so weiter. Es hätte auch die Möglichkeit bestanden, einfach mal über Facebook Bedenken und Anregungen zu sammeln und das eine oder andere exemplarisch zu beantworten.

So wird etwas Gutes aus der Kommunikation. Bürger_innen haben die Möglichkeit zu antworten und diese nutzen sie. Die sozialen Medien bieten die Chance auch die zu hören, die sich sonst nicht zu Wort melden. Und sie bieten die Chance, authentisch zu antworten. Das ist neben den langen Linien, der überlegten Art eines Winfried Kretschmanns, für die ihn viele schätzen, eben auch etwas notwendiges. Denn es ist die Chance, verloren gegangenes Vertrauen in Politik zurück zu gewinnen. Schade, dass Winfried das in diesem Interview so wegredet und abwertet. Da hat er etwas nicht verstanden. Und das sollte ihm zu Gehör gebracht werden.

Denn was er sagt – und wie ich mehrfach gelesen habe – wird ja die Qualität der Botschaften, der Antworten, der Information angezweifelt. Nun, das ist eine so überhebliche Antwort, dass es mich schaudert. Ich erwarte von einem Ministerpräsidenten, dass er auch die schlecht formulierten Informationen auf ihren Gehalt hin prüft. Dann er ist nicht nur der Ministerpräsident derjenigen mit Abitur und Philosophiestudium, sondern auch derer, die oft genug in der Lage sind, etwas vor allem auf der Basis ihres Gefühls zu formulieren. Das bedeutete für mich Politik des Gehörtwerdens. Alles hören. Nicht nur die, die „ming Sprooch(BAP (Nit für Kooche – und se ejmol im Johr och spricht ming Sprooch))“ sprechen.

Achso: nein, die Menschen wollen keine Heiligen. Die Menschen wollen verstehen, wie eine Entscheidung zustande kommt. nicht alle werden sie teilen. Aber die, die guten Willens sind – und DAS sind die Meisten – werden das honorieren.

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Tilo

Lieber Jörg, Soziale Netzwerke sind nicht Winfrieds Welt, das sagt er ja auch. Deshalb hat er ja Mitarbeiter wie mich, die für ihn bzw. bei Twitter im Namen der Landesregierung agieren. Aber Winfried ist sich dennoch durchaus der Chancen und der Bedeutung von Social Media für die politische Kommunikation bewusst, auch das sagt er Interview. Und dabei geht es eben nicht nur darum, die Reichweite für das Senden von Botschaften zu erhöhen (wie Du unterstellst), sondern eben auch um eine die neue Qualität politischer Kommunikation, die das Web 2.0 möglich macht: also Interaktion, Dialog und mehr Augenhöhe statt klassischer Einwegkommunikation von oben nach unten. Eben weil diese Form der Kommunikation so gut zur Idee der Politik des Gehörtwerdens passt und weil Soziale Medien dazu geeignet sind, „wahrzunehmen , was Menschen bewegt“ (wie Du schreibst) hat das Staatsministerium die Online-Aktivitäten und vor allem die im Web 2.0 massiv ausgebaut.

Lusru

Das liest sich gut, auch deine Bedenken sind wohl nicht von der Hand zu weisen – Die Antwort vom Till könnte auch vo irgendeinem anderen Funktionsgebundenem Fuzzi einer anderen Parteisein, ja sie müßte so sein – wie sonst, etwa kerine Höflichleitsfliskeln mit Beruhigungspille (ich mach das schon, was ihm evtl. fehlt)
Ich möchte dir dazu 2 Dinge sagen:
1. Der MP Kretschman ist Spitze (als MP), er ist bOHNE sogenannte SOZIALE Medien an die Macht gekommen dank PERSÖNLICHER offen gezeigter Werte – womit ich ausdrücklich nicht seinen Katholizismus meine – Deshalb darf und KANN Kretschmann auch OHNE diese schnell- und kurzlebigen Medien regieren, da sie an seinem festen Bild kaum auch nur eine Haaresbreite befördern könnten, wie das bei weniger im Bilde und an der Stange befindlichen Personen gern mal zum Stimmungswechsel führenb kann – hat KR. nicht nötig
2. Bitte von welchen SOZIALEN Medien (Netzwerken) sprichst DU hier?
Ich rechne mal damit, daß dir zuförderst auch der erste der beiden Begriffe ein Begriff (zum jederzeitigen „Greifen“!)ist: SOZIAL, und dann der zusammengesetzte DANACH bewertet wird.
Also, was soll bei DIR ein SOZIALES Netzwerk sein ?
Und das bitte, ohne den „Focus“, die „Zeit“, die „ZAZ“ oder Wikipedia nachzuplappern, da diese alle nur voneinander abschreiben, besonders in solchen Themenbereichen, und schließlich keiner mehr weiß, wo etwas warum herkam, wer es mit welcher Absicht so machte.

Hintergrund: Wer sich an solche Qualitätsbrocken wie Kretschmann traut zu kriteln (was anderes ist das nicht, was du hier machst – es sei denn, du hättest seine „Heiligen“ traurig kritisiert, die nun in der Tat keinesfalls jeder und erst recht nicht „das“ Volk braucht, das hat er wohl auch mehr aus seiner Kinderstubenzeit), wer sich also bei Kr. traut, SOZIALE Funktionseinheiten zu vermissen, zu bemängeln etc., der muß explicit wissen, WAS diese sind bzw. sein sollten oder könnten, OHNE dabei nur allgemeinem Sandalenslang auf den Leim zu gehen.
Denke mal, du kommst dann nicht mit dem Kinderkram facebook als SOZIALES WERK IM NETZ, was nämlich „soziales Netzwerk“ bedeutet, denn da fehlt zum Netz wohl noch etwas Werk….

Arne Babenhauserheide

Für mich sind *digitale* Medien¹ völlig real: Es sind meistens einfach öffentliche Meinungsäußerungen.

Sie haben gegenüber Aussagen am physischen Stammtisch aber für Politiker einen riesigen Vorteil: Sie lassen sich leicht analysieren und zum Erstellen von Meinungsbildern nutzen.

Der größte Vorteil von Twitter u.ä. ist dabei, dass sie besonders einfach auszuwerten sind: Dort nehmen die Nutzer den Auswertern sogar schon das Kategorisieren und das Berechnen von Zustimmungsquoten ab.

Dass die Informationen nicht Kretschmann selbst sammelt finde ich völlig OK. Dafür sollte er Leute haben, die ihm Informationen liefern und auch einschätzen können, wie hoch die Bedeutung von verschiedenen Aussagen ist (was er mit Tilo ja wohl auch hat). Wenn fefe was schreibt, dann wird das recht wahrscheinlich der Gesprächsstoff von tausenden, wenn ich was schreibe (und es nicht gerade von jemandem mit viel mehr Lesern wiederholt wird), dann erreicht das vielleicht 100 Leute und wird wohl keine Diskussion lostreten.

¹: Mit digitalen Medien meine ich nicht nur Facebook (das ich nicht nutze) und Twitter, sondern jede Art öffentlicher Meinungsäußerung im Netz – sei das nun in Foren, in E-Mail Listen, in Weblogs, in Microblogs (twitter, identi.ca) oder den „klassischen“ sozialen Netzen (bei denen Informationen zwischen Bekannten fließen, aber etwas weniger auf die Öffentlich aufgerichtet sind). Über all diese Medien tauschen sich echte Menschen auf persönlicher Ebene aus.

Oliver

Ich finde Winfried Kretschmann hat völlig Recht. Und er darf auch sagen das er seine Politik nicht in 140 Zeichen erklären kann, vielleicht auch will. Ich nutze regelmäßig Twitter und Facebook und bin erheblich jünger als der Herr MP, dennoch finde ich das dies völlig in Ordnung ist. Man sollte das ganze Social Netzwork nicht überbewerten! nicht nur hier finden Demokratische Prozesse statt, jetzt, hier und auch in Zukunft.

Lusru

Ja Jörg, das kann so sein, nur das muß nicht am MP Kretschmann liegen, das kann auch an deinen Augen liegen, vor allem, wenn andere „Augen“ offensichtlich anderes sehen (können).
Ist aber nicht so schlimm, denn es stört ja niemandem.

Arne Babenhauserheide

Ich persönlich halte es nicht für geschickt, zu sagen, dass eine politische Position nicht auf 140 Zeichen reduziert werden kann: 140 Zeichen sind eine Überschrift mit Untertitel. Klar steht da nicht die ganze Position drin, aber die Grundbotschaft sollte sich meistens vermitteln lassen. Es sei denn, sie ist noch nicht wirklich klar.

Natürlich ist das Arbeit, aber bei einem Artikel in der Zeitung schafft er das ja auch. Und in tweets kann man auch Links packen – für all die, die das Thema interessiert.

Und die Informationen so zusammenzufassen hat auch etwas mit Respekt vor der Zeit der Lesenden zu tun: Zu verlangen, dass jemand erst einen ganzen Artikel liest, bevor er entscheidet, ob ihn das Thema interessiert, ist meiner Ansicht nach den Lesenden gegenüber kein schöner Stil.