Heimat

Die Grünen in Bayern haben begonnen, den Heimatbegriff grün zu besetzen:

Das Bedürfnis im Zuge der Globalisierung und Individualisierung einen Ort zu haben, wo man zuhause ist, der vertraut ist, wo man hingehört, ist spürbar gewachsen. Und mit ihm, neben unverwüstlichen Heimatkitsch, ein ernsthaftes Nachdenken über das Phänomen Heimat, das von weltoffener und liberaler Gesinnung getragen wird.

Auch im Landtagswahlkampf in Schleswig Holstein wird die Heimat thematisiert:

Heimat, aber welche?

Mit Recht betont Robert Habeck den funktionalen politischen Wert, den Heimat in sich birgt, gerade auch für die ökologische und soziale Gestaltung unserer Umwelt – dabei darf jedoch nicht vergessen werden, dass Heimat mehr ist als ein wichtiger Faktor politischer Kalkulation, dass Heimat für sich einen Eigenwert besitzt.

und zitiert Margarete Bause (Fraktionsvorsitzende der Grünen in den Bayerischen Landtag):

„Heimat ist nicht etwas, in das du hineingeboren wirst und das immer so bleibt. Sondern Heimat ist das, wo es mir nicht egal ist, was um mich herum passiert. Wo ich mir mein Umfeld gestalte.“

Es wird Zeit, dass wir den Begriff aus seiner nationalistischen und konservativen Gefangenschaft befreien. Ich verbinde mit Heimat keinen „Stolz“ darauf, in einer bestimmten Gegend der Welt geboren zu sein. Und ich verbinde damit auch kein „alles ist irgendwie gut, daheim“ oder gar die Pflicht, sich mit einer wie auch immer gearteten Heimat verbunden zu fühlen.

Für mich ist Heimat da, wo ich daheim bin. Ich bin sehr bodenständig und, wie man so schön sagt, meiner Heimat – „wo meine Wiege stand“ – verbunden. Einen 18-monatigen Arbeitsausflug ins Saarland habe ich wegen Heimweh abgebrochen. Ich tue mich schwer mit baulichen Veränderungen in meinem Umfeld. Bin traurig, wenn sich Ecken in „meiner Stadt“ sich verändern. Gewöhne mich aber auch schnell an das Neue. Ich habe eine sehr emotionale Bindung an die Orte, die mein Leben prägten. Ebenso wie auch an Dinge, an die ich mein Herz gehangen habe (ich hab immer noch alle LPs im Schrank…).Ich bin gerne hier. Ich wohne zwischenzeitlich ein paar Kilometer von meinem Heimatort Ettlingen entfernt und ich hab ein bißchen Heimweh. Aber insgesamt, fühle ich mich wohl und will nicht fort. Hier ist größer als Ettlingen.

Und deshalb bin ich auch daran interessiert, wie mein Lebensraum hier aussieht. Dass Erhaltenswertes erhalten bleibt. Ich möchte eine lebenswerte Umwelt, und ich möchte sie gerne mit meiner politischen Heimat verbinden. Das bedeutet Veränderungen – und ich stelle fest, dass mir diese leichter fallen. Denn zum Beispiel stehen auf den Hügeln hier keine Windräder – obwohl sie hier einen ordentlichen Beitrag zur Energiewende leisten könnten. Ich möchte die Natur erhalten, ich möchte mich in meiner alten und neuen Gemeinde (nicht kirchliche Gemeinde) wohlfühlen und etwas zu ihr beitragen können, was in meinen Augen positiv ist. Ich darf wie jede_r andere, die hier aufgewachsen ist sagen: „Hier bin e dehoim“. Es ist mir ein Anliegen, mit grüner Politik auch meinen eigenen  – und der meiner Familie und Freunde – Lebensraum zu gestalten.

Dafür möchte ich nicht länger Gefahr laufen, in eine rechte Ecke gestellt zu werden. Es gibt eine linke Definition von Heimat. Es ist möglicherweise ein bißchen spießig – aber wen kümmert das schon. Ich trage gerne dazu bei, meine Heimat zu erhalten. Eine Heimat, die ich in erster Linie geografisch definiere, in zweiter Linie kulturell. Politisch-geografisch könnte das hier auch Frankreich sein. Wäre mir egal. Ist es aber nicht. Ich finde es schön, sich auf den Weg zu machen, den Heimatbegriff von seiner völkischen Interpretation bin hin zur Blut-und-Boden-Ideologie reinzuwaschen zu entkoppeln. Sich verantwortungsvoll dem zu stellen, was zum Wohlbefinden meiner Umwelt beiträgt. Im Kleinen, der Kommune, im Größeren, dem Land und im Großen, dem Staat. Nicht buckelnd, sondern aktiv gestaltend. Ich bin nicht stolz ein Deutscher zu sein – aber ich bin es einfach gerne.

Update: durch Alex Schestag bin ich auf die Blogparade von Katja Wenk aufmerksam geworden und hab meinen älteren Beitrag dazu gemeldet – weil ich ihn immer noch so als richtig finde und ihn auch wieder so schreiben würde.

Update2: Durch den Wahlerfolg der AfD und die seit vielen Monaten anhaltende Diskussion um Nationalstolz und „Deutschland den Deutschen“ muss ich einsehen, dass der Heimatbegriff nicht zu entkoppeln ist von seiner braunen Interpretation. Zwischen „daheim“ und „Heimat“ liegen Welten. Insofern sehe ich ein: die Debatte um diesen Begriff ist verloren.

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Alexander Schestag

Volle Zustimmung! Und ich finde, wir sollten genau diesen Heimatbegriff bei den Grünen anstelle des reflexartigen „Heimat ist bäh!“ etablieren! Andere Grüne wie die irischen Grünen sind da viel weiter und haben genau diesen Heimatbegriff übernommen.

Mark

Home sweet home… 😉 Wherever I lay my hat, that’s my home.

Wir haben, glaube ich, einen zu sehr politisch besetzten Heimatbegriff. Aus dem individuellen Wunsch „zu Hause“ und „daheim“ zu sein, wird auf der nächsten Ebene mal ganz schnell ein Kollektiv und die damit verbundenen sozialen Verpflichtungen gestrickt. Da muss dann die Heimat verteidigt werden, da wird aus der Region die Nation und dann, mit dem Feind vor der Haustür, bietet sich dieses Gemisch aus Sprache, Kultur und geografischer Proximität ein geeignetes Konstrukt an, die Angst vor Isolation und ein fehlendes Gefühl von Gemeinwohl zu ersetzen.

Das eint eventuell auch linke und rechte Heimatsduselei. Statt „vor dem Franzos“ wird der heimische Wald eben wegen „dem Finanzkapital“ geschützt und als Mittel zum Zweck benutzt… (nur so eine Randüberlegung…)

Da ich halb Ostpreuße, halb Engländer bin und in keinem der Länder gewohnt oder gelebt habe, mir Worms als Ort der Kindheit inzwischen völlig fremd ist und vielleicht auch schon lange fremd war, ich mich aber auch nicht vollen Herzens als Europäer bezeichnen kann, ist es wirklich schwierig für mich Wurzeln und Heimat zu definieren.

Ich sehe darin ein Dilemma der weithin geforderten Mobilität, Internationalität und sich auf Neues immer flexibel einrichten zu müssen. (Während eine Vielzahl von Menschen genau diese Fähigkeiten zum Verhängnis werden, wenn sie nicht die nötigen Europäischen Pässe und Qualifikationen mitbringen…)

Die religiöse Prägung in der Kindheit war von der Sehnsucht nach der „Heimat bei Gott“ geprägt, von der Erde als Übergang. Bei Beerdigungen hieß es immer „Der HERR hat unsere liebe Schwester/unseren lieben Bruder zu sich Heim geholt“. Wo ich jetzt nicht mehr daran glaube, ist auch diese Heimat weg.

Also sind die Menschen, die Landschaft, der Moment wichtig. Da wird der Begriff Heimat so persönlich wie die Vorliebe für bestimmtes Essen. Wegen einer Vorliebe für Pfannkuchen statt Paella ist wohl noch kein Krieg geführt worden. Somit bin ich dafür Heimat und Nation als farblicher Kolorit zu sehen, mit dem ich mich schmücken kann, wenn ich will, ohne ins Chauvinistische zu rutschen. Hier bin ich Engländer, in England Deutscher – und wenn mir dann mal Baden nicht mehr schmecken sollte, muss ich wohl nach Schwaben ziehen 😛

LiS

Zitat: „Sondern Heimat ist das, wo es mir nicht egal ist, was um mich herum passiert. Wo ich mir mein Umfeld gestalte.” Aha, und da wo ich meine wave (Beispielbild ganz unten) rumhängen hab, ist meine Heimat? Ja, zweifelsohne! Aber gibt es auch darüber hinausweisende Möglichkeiten meine Umwelt zu gestalten? Siehe Atomkraft! Die wenigsten wollen sie, da ist sie immer noch. Ich weiß jetzt nicht, ob wir uns nicht lieber über den Gestaltungsbegriff unterhalten sollten, als über den Heimatbegriff.

LiS

Ich hatte es erst so verstanden, dass du beides voneinander trennst.

LG
LiS

[…] es auch anders geht, hat vor einiger Zeit Jörg Rupp in einem bemerkenswerten Blogartikel gezeigt, in dem er als Grüner vom linken Flügel […]

[…] Jörg Rupp: Heimat* […]

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