Los statt Wahl II

Wenig bis keine Resonanz auf meinen Vorschlag, Delegierte (bundes-/landesweit) zu losen. Ziemlich heftig Angriffe eines einzelnen Grünen auf Facebook. Ich spinne das jetzt mal weg von der grünen Partei und denke das mal für eine Gemeinde durch.

Der Gemeinderat setzt sich zukünftig aus gelosten Bürgern zusammen. Er wird deutlich größer, weil er – da nehme ich Anleihen am Athener System – eine Reihe von Experten für Baurecht, Finanzen etc. aus seiner Mitte wählt, die bürgerseits die Verwaltung kontrolliert und gleichzeitig parteiunabhängige Expertise in den Gemeinderat einbringt.  Eine Art Aufsichtsrat für die Gemeinde. Die Amtszeit wird auf 2 Jahre verkürzt. Außerdem muss die Stichprobe groß genug sein.

Ich stelle mir folgende Folgen vor:

  • es kann jedeN Bürger_in „treffen“. Damit ist jedeR Bürger_in in der Pflicht, sich mit dem, was in der Gemeinde passiert, auseinander zu setzen
  • eine Ablehnung des Amtes sollte nur aus wichtigen Gründen möglich sein. Damit ist gewährleistet, dass sich niemand drücken kann
  • wenn weiterhin dafür gesorgt wird, dass Arbeitgeber für diese Tätigkeit mit Aufwandsentschädigung freistellen müssen, wird bürgerschaftliches Engagement zentraler
  • Das Losverfahren entmachtet Parteien und Machtstrukturen
  • die Unmöglichkeit, in  Jahrzehnten immer wieder gewählt zu werden, sorgt ebenfalls für die Entmachtung von Partei- und anderen Machtstrukturen
  • Bündnis- und Fraktionszwang fallen weg, die Mandatsträger_innen sind tatsächlich frei in ihren Entscheidungen
  • wer nur für zwei Jahre gewählt wird, erledigt die Aufgabe leichter
  • Expertentumbeibt wichtig, aber der Gemeinderat ist breiter in der Bevölkerung verankert
  • mit einer hohen Rechtfertigung- und Kontrollmöglichkeit für die Bürgerschaft – bspw. durch Veröffentlichung von Abstimmungsverhalten, wird gewährleistet, dass man sich stärker am Gemeinwohl orientiert
  • Gesellschaft wird politisiert(er)

Die Annahme, dass jedeR Bürger_in geeignet ist, macht mir das alles noch symphatischer. Ich sehe die Diskrepanz zu „wählen als Recht“, könnte mir aber auf Gemeindeebene auch vorstellen, einen Beirat auf diese Art zu schaffen oder Jugendgemeinderäte auf diese Art auszuwählen.

 

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Till Westermayer

Als Ersatz für Parlamente sehe ich Losverfahren eher skeptisch (der nächste Schrutt wäre dann eine repräsentative Meinungsumfrage), aber als Bürgerbeteiligungsinstrument spricht einiges dafür – und wird bei den Projekten von Gisela Erler zum Teil auch schon ausprobiert. Was in der Praxis dann allerdings auch zu Datenschutz- und Motivationsproblemen führen kann, siehe Filderdialog.

Jan Berz

Ich stimme Till zu, als Verfahren, um Parlamente zu besetzen halte ich die Bestimmung der Repräsentanten nach Los auch für problematisch. Natürlich hätte es den Vorteil verfestigte Strukturen aufzubrechen. Allerdings fehlt bei dieser Form der Demokratie der Wiederwahlmechanismus.
Nur wenn die Repräsentant*in wiedergewählt werden kann und will entsteht ein Kreislauf der dafür sorgt, das die Repräsentant*in auf die Präferenzen der Wähler*innen reagiert und sie aufgreift. So muss die Repräsentant*in auch nach der Wahl auf die Zustimmung der Wähler*innen achten.
Als Beispiel lassen sich hier die Kommentare nach der Wiederwahl Obamas zum Präsidenten anführen. Häufig wurde gesagt, das Obama in seiner zweiten Amtszeit mehr erreichen können, weil er jetzt nicht mehr gewählt werden könne, also auf die Präferenzen der Wähler*innen nicht achten müsse. Ist das aus demokratischer Sicht wünschenswert?
Beim Losverfahren besteht immer die Gefahr das die Repräsentant*innen anschließend ihre Partikularinteressen vertreten. Denn es besteht für keine Notwendigkeit, kein Anreiz, auf die Interessen der Wähler*innen zu achten.
Trotzdem ist es generell eine interessante Idee.