piratige Zeiten?

Meine Haltung zu den Piraten hat sich im Laufe der Jahre verändert.

2009 habe ich einen Text zu „Grüne und Piraten“ veröffentlich, den ich heute nicht mehr so schreiben könnte. 2009 waren die Piraten eine Splitterpartei, mit gerade mal 2% in der Bundestagswahl gescheitert.

Zwischenzeitlich haben Sie zwei Landtage erobert, sonnen sich in hohen Umfragwerten und haben seit dieser Bundestagswahl die Legende voran getrieben, sie wären die neuen Grünen. Ihre Geschäftsführerin verstieg sich sogar zu der öffentlichen Äußerung:

„Eine Utopie ist, dass die anderen Parteien sich ganz doll an den Kopf fassen, Angst vor den Piraten kriegen und anfangen, unsere Ideen zu klauen. Das würde mich freuen“, sagte Weisband. „Wenn die anderen unsere Ideen stehlen, könnten wir uns guten Gewissens auflösen.“

Meine Parteifreundin Nina Galla, die ich sehr schätze, auch wenn sie mir ein bißchen zu sehr pirateneuphorisiert scheint, sieht das durchaus ähnlich – und erntet dafür natürlich viel Zuspruch bei den Piraten. Ich hab mich zwischenzeitlich ein bißchen beruhigt, was meine warme Sympathie angeht. Übrig ist Sympathie für den Ansatz der Transparenz und der Basisdemokratie – da kopieren sie ja uns Grüne tatsächlich. Unmut habe ich aufgrund der vielen Vorkommnissen in den letzten 3 Jahren – angefangen bei Bodo Thiesen, der bis heute Mitglied der Piratenpartei ist über Ex-NPDler und Kevin Barth bis hin zu Boris Turovskiy als Leiter der LGS der Piraten in Bayern. SOlche Dinge können in einer schnell wachsenden Partei durchaus vorkommen. Auch wir Grüne führen, bedingt durch unseren rasanten Mitgliederzuwachs nach dem Wahlsieg in BW, mit Neumitgliedern auf einmal wieder Debatten über Redelisten und Frauenquoten. Wir stehen aber da zu unserer Haltung. Bei den Piraten erlebte ich im Falle Kevin aber dann eine Stellungnahme, die Rechtsradikalimus und „sonstiges radikales Gedankengut“ gleichsetzte und die Kritik daran zunächst als „bashen“ oder „trollen“ bezeichnet wurde – bis es irgendwann dann klargestellt wurde.

Auch auf die nicht vorhandene Frauenquote blicke ich zwischenzeitlich mit anderen Augen. Handelte es sich 2009 noch um Kommentare vor allem zur Präsenz auf Parteitagen, so muss man zwischenzeitlich konstatieren, dass die Idee, man könne heute schon „postgender“ politisch agieren, eine Falle ist. In Berlin eine von fünfzehn, im Saarland eine von vier. Das ist zu wenig. Die Rollenbilder in dieser Gesellschaft sind lange nicht überwunden. Die Piraten drehen da das Rad zurück. Mit der fatalen Konsequenz eines zu erwartenden gesellschaftlichen Flashbackes. Für sich mögen sie nicht darauf achten (wollen), welches Geschlecht ein Pirat hat. Die gesellschaftliche Realität ist aber eine andere. Und da kann ich als Partei nicht so tun, als gäbe es das alles nicht. Bevor wir Grünen mit einer klaren, kompromisslosen Haltung in der Frauenfrage die politische Präsenz verändert haben. waren Männer der Meinung, sie könnten auch für Frauen sprechen. Aber das können sie nicht – genausowenig wie Frauen für Männer sprechen können. Vor nur 40 Jahren konnte ein Mann für seine Frau den Job kündigen – gegen ihren Willen. Es ist nicht so, dass der gesellschaftliche Impetus dazu schon überwunden wäre – im Gegenteil.

Bleibt die Frage: müssen wir (als Grüne) uns verändern? Natürlich müssen wir das. Wir haben ja auch bewiesen, dass wir in der Lage sind, dies zu tun. Unsere Antworten auf politische Fragen den Realitäten der Zeit anzupassen, ohne dabei die Grundhaltung völlig aufzugeben. Wir streiten bis heute leidenschaftlich über die Teilnahme am Afghanistankrieg. Ich finde nach wie vor, dass die Teilnahme falsch war. Nur kann ich nicht so tun, als wären die deutschen Soldaten nicht dort und als würde aus dieser Präsenz keine Folgen entspringen. 1980 haben wir das Kabelfensehen abgelehnt. Mehr als zwei Flüge pro Jahr wollten wir den Bundesbürgern nicht zugestehen. Wir hatten damals die Oberlehrehaltung, die wir längst hinter uns gelassen haben – aber uns heute noch nachgesagt wird (IHR wollt immer allen alles vorschreiben).

Wir müssen sicherlich wieder mehr basisdemokratische Elemente implementieren – auf der Basis moderner Technologien. Aber wir können nicht so tun, als könnte jedeR alles in so einer Partei machen. Ich kann nicht umhin anzuerkennen, dass ich zwar einerseits für eine Rotation (2 bis 3 Legislaturperioden) bin, andererseits ohne  persönliche politische Erfahrung ein Amt wie das des Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg nicht zu besetzen ist. Viele der Kröten, die wir unter rot-grün schlucken mussten, waren auch der Unerfahrenheit mit solchen Ämtern geschuldet. Mitsprache gibt es auch bei uns. Aber manchmal sind auch „die da oben“ nicht gut erreichbar. Aber auch deren Tag hat nur 24 Stunden. Insofern gibt es Hierarchien und Büroleiter oder andere Ansprechpartner. Es ist sicherlich vieles optimierfähig, manches aber einfach auch nicht lösbar, wenn man anerkennen muss, dass auch ein Parlamentarier das Recht auf einen Feierabend hat.

Und ich muss der Tatsache Rechnung tragen, dass wir es hier mit zwei verschiedenen Generationen zu tun haben. Und so krieg ich halt auch nicht alle dazu, sich des Netzes als Kommunikations- oder Erarbeitungsmittel zu bedienen. Die Piraten glauben an Schwarmintelligenz – ich glaube an Gremien, in denen man auch basisdemokratisch mitarbeiten kann. So wie wir es in den LAGen beispielsweise tun. Beides ist unterschiedlich – im Ergebnis glaube ich, selten wirklich schlechter. Ich glaube auch an Delegation. Denn ich halte die repräsentative Demokratie für einen guten Kompromiss. Ich finde aber auch, dass es mehr Volks/Bürger_innenentscheide auf allen Ebenen geben muss, mehr Mitsprachrechte, mehr Transparenz, wenn Entscheidungen anstehen oder welche gefällt werden sollen. Mehr Mut zur Öffentlichkeit. Auch bei uns nehme ich Angst vor Presse oder Öffentlichkeit wahr – aber auch darauf gibt es Einflussmöglichkeiten.

Wir betreiben zwei verschiedene Systeme – die ähnlich sind, aber doch nicht kompatibel. Die Arroganz der Piraten ist, dass sie meinen, die Menschen gingen schon mit und würden sich anpassen. Dass ihr Weg der einzig richtige ist. Meine Arroganz ist es, zu glauben, dass viele ganz froh sind, dass sie repräsentiert werden und sich nicht um alles kümmern müssen. Aber so wie die Piraten glaube ich, dass die Menschen sich mehr interessieren würden, wüssten sie mehr. Gleichzeitig kann ich aber politisch nicht so agieren, als beherrschten die meisten Menschen die Internettechnologien und verstünden eine differenzierte Informationsbeschaffung. Dem ist nicht so. Die meisten konsumieren. Das erklärt den Erfolg von Facebook. Und diejenigen, die gar nichts damit anfangen können, die Bürger_innen, die darf ich nicht ausschließen.

Die Basisdemokratie ist in meiner Partei immer noch breit verankert. Jedes einzelne Mitglied kann seinen Kreisverband zu einem Beschluss führen, sodenn er eine Versammlung überzeugt. Nur 10 Mitglieder können das selbe auf Landesebene tun, nur 20 auf Bundesebene. Ich selbst habe 2010 zusammen mit Silke Krebs zunächst den Landesvorstand, dann den Landesverband davon überzeugt, dass Alkoholverbote auf öffentlichen Plätzen keine Lösung sind, sondern Prävention der richtige Weg ist – trotz prominenter Fürsprecher für’s Verbot wie die drei OBs. Heute steht dies in Baden-Württemberg im Koalitionsvertrag. Programmatisch müssen wir uns in Sachen Basisdemokratie nichts vorwerfen lassen, unsere Kandidat_innen für die Listenplätze sind für alle Mitglieder offen, auf kommunaler Ebene kandidieren sogar oft genug Nichtmitglieder. Aber natürlich ist es schwer, gegen einen Profi zu gewinnen.

Letztendlich sind wir zwei verschiedene Parteien. Ich sehe in manchen Dingen Möglichkeiten der Zusammenarbeit, in anderen Feldern nicht. Für mich sind die Piraten zwischenzeitlich eine Partei wie jede andere Andere auch. 2009 waren mir diejenigen, die ich kannte, auch alle sympathisch. Heute kenne ich mehr – und ich hab leider auch ein paar kennen gelernt, mit denen mag ich nicht mal ein Bier trinken – aber es gibt immer noch viele, die ich gerne mag. Ich mag ihr anarchisches Element, ich mag ihr „System-in-Frage-Stellen“. Nur durch Neues kommt Bewegung rein  und manche Erstarrung, gegen die ich auch innerparteilich gekämpft habe, löst sich schneller. Dafür muss ich aber nicht pathetisch „Danke, Piraten“ sagen. Denn es ist für mich ein normaler Prozess. Und eine Partei,die nicht meine ist, kritisiere ich auch schärfer – vor allem in den Punkten, die ich nicht teile. Und eine, die mir nicht egal ist, für die gehe ich auch noch ins Detail. Manchmal.

Und inhaltlich werden sie sich sehr schnell positionieren müssen. Sechs Jahre nach der Gründung kann man erwarten, das eine Partei zu den wichtigsten gesellschaftlichen Fragen Antworten hat. Wenn sie das nicht hat, wenn das nicht wichtig ist für sie und ihre Wähler_innen, dann ist das eben so. Dann wird sie weiter Protestpartei bleiben – und ihre Abgeordneten schneller zum System gehören, als ihnen lieb sein kann – und Ziel des Protests.

Für mich sind nicht die Piraten das Maß – sondern die grüne Partei. Ich bin Grüner aus Überzeugung. Weil ich hier auch auf Fragen, die mich umtreiben, Antworten bekomme, Antworten geben und sie selbst mitgestalten kann. Und weil ich ein gewisses Maß an Seriosität in der Politik als unabdingbar halte. Eine Seriosität, die ich bei manchen Piraten (auch mit Posten) manchmal vermisse. So wie ich bei uns manchmal weniger Professionalität und mehr Mut wünschen würden. Mein Politikansatz ist  nicht piratig – sondern grün.

Emanzipatorisch. Solidarisch. Basisdemokratisch. Sozial. Gewaltfrei. Ökologisch.

Das heißt nicht, dass ich die Piraten nicht grundsätzlich als mögliche Verbündete sehe. Aber ein Selbstläufer ist diese Verbündung nicht. Das Maß sind die  Säulen grüner Politik. Daran müssen sie sich (für mich) messen lassen. Und da bleibt mir nur festzustellen: Ich habe sie gewogen, aber leider zu oft als für zu leicht gefunden.

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Florian Wilhelm

„Übrig ist Sympathie für den Ansatz der Transparenz und der Basisdemokratie“

Inhaltlich sind so gar keine Sympathien / Gemeinsamkeiten übrig? Reduziert auf die „Kernthemen“ finde ich das Programm der Piraten nach wie vor sehr gut und notwendig. Alles was darüber hinausgeht ist recht unterschiedlich, ja, wobei es da auch progressive Landesverbände gibt (Berlin zB).

„Basisdemokratie“ ist im Übrigen ein untauglicher Begriff, da den eh jedeR anders versteht. Und ich finde es „basisdemokratischer“, keine Delegierten zu haben. Dass das ab einer gewissen Anzahl an Mitgliedern nicht mehr durchführbar ist weiß ich, aber hier geht es ja um eine Idealvorstellung.

Florian Wilhelm

Lass doch die Sozialpiraten mal Ihr Konzept machen, wenn es dann vom BPT beschlossen wurde können wir das mit dem vergleichen was die Grünen zu bieten haben (sofern sich noch irgendwer daran erinnern mag, dass die BaWü Grünen einen solchen Beschluss haben).

Also, ich halte direkte Demokratie (wie in: JedeR kann abstimmen) für das Ideal, aber ab einer gewissen Gruppengröße geht das einfach nicht für jede Frage, ok.
Aber ich kann mit diesem Kreis-/Landesverbandsdenken nichts anfangen. Das ist genau das Phänomen, das Till vor ein paar Wochen notiert hat. Ich bin nicht „in einem Kreisverband“ sozialisiert worden, viel mehr als dass ich da bequem zur KMV hin kann hab ich damit nicht zu tun. Mein „KV“ sind meine bekannten aus dem ganzen Bundesgebiet (und weit darüber hinaus), mit denen ich die größten Gemeinsamkeiten habe, die mich am besten verstehen. Ich sehe Delegation grundsätzlich auch als legitim an, aber ich will nicht an ein willkürliches Merkmal wie „Wohnort“ gebunden sein, um zu entscheiden an wen ich delegiere, und ob überhaupt. Darum bevorzuge ich da, wo direkte Demokratie nicht geht Liquid Democracy gegenüber dem „klassischen“ Delegiertensystem.

Timothy Simms

Nun ja. Ich halte einen kostenlosen ÖPNV aus verschiedenen Gründen für keine gute Idee. Prinzipiell sollte nämlich jede Art von Ressourcenverbrauch auch mit Kosten verbunden sein – sonst setzt man vollkommen falsche Anreize. DRadio Wissen hat da heute einige ganz interessante Beiträge dazugebracht, u.a. dass die Umsteigeeffekte doch eher gering sind, u.a. weil nicht der Preis das Argument für den Umstieg ist, sondern ein gutes Angebot, das man ja auch irgendwie finanzieren muß. Mehr hier zum Nachhören: http://wissen.dradio.de/nahverkehr-eine-zukunft-ohne-fahrschein.33.de.html?dram:article_id=15861
Was bei der Demokratie übrigens immer gerne übersehen wird: Minderheitenschutz.

Timothy Simms

Das Problem ist: Wer Minderheitenschutz ernst nimmt, der verhandelt und debattiert lieber lange und die Beschlüsse, die am Ende rauskommen sind halt nicht so sexy, dafür aber ganz anders legitimiert. Wer grüne Debattenkultur kennt, dem fehlt es sehr schwer, die Beschlußfassung z.B. auf dem letzten Piratenparteitag nachzuvollziehen, weil man sich ständig gefragt hat: Gibt es nicht vielleicht eine vermittelnde Position? Müßte man das nicht länger diskutieren? etc.

korbinian

delegierte zu haben finde ich nicht verkehrt. wichtig ist mir nur keine zwangsdelegierte zu haben, das is ein fundamentaler unterschied. solange ich immer auch selbst auf einer mitgliederversammlung abstimmen kann wenn ich das möchte fände ich das sogar gut, weil es viel mehr mitgliedern zumindest indirekte teilhabe ermöglicht.

Andreas

Hi,
danke für deinen ergänzenden Beitrag. Die Grünen haben mich bisher nicht dazu gebracht, mitzumachen, da es online einfach nicht geht. Ich habe durch ein Kind selten Zeit mal irgendwo hinzufahren und ich vermisse die Möglichkeit bei euch mal 2 Stunden investieren zu können. Wo ist das möglich? Die Grüne Jugend hat ein Wiki und Mailinglisten http://wiki.gruene-jugend.de/index.php/Hauptseite . Die solltet ihr Ansprechen. Ihr habt zwar vereinzelt Blogs oder Twitter, aber nichts Themenzentriertes. Vielleicht könnt ihr das ändern.

Andreas

Andreas

Hallo,
danke für die Antwort. Beim Wurzelwerk kann ich leider nicht reingucken, da ich kein Mitglied bin, es wäre bestimmt attraktiver, wenn andere Leute auch reingucken könnten, zb ohne Schreibrechte. Mailinglisten habe ich nicht so wirklich gefunden, auf https://mail.gruene.de/mailman/listinfo und https://listen.gruene.de/mailman/listinfo gibt es nicht viel. (die Grüne Jugend ist da allgemein besser aufgestellt).
Wenn ihr noch mehr Tools habt, wäre es gut diese öffentlicher zu präsentieren.

Grüße, Andreas

[…] machen wir mit denen? [Zwei unterschiedliche grüne Antworten darauf haben gerade Nina Galla und Jörg Rupp […]

korbinian

ich als pirat kann dir größtenteils nur zustimmen. auch bei der frage wie wir leider noch mit rechtsradikalen umgehen und bei der nichterkenntnis des problems dass frauen und männer eben noch nicht gleichgestellt sind.

wo ich nicht zustimmen würde ist die unterstellung dass wir glauben dass unser weg der einzig richtige sei. ich sehe die piraten einfach nur als ein neues angebot dass für leute die bisher von anderen parteien nicht abgeholt wurden nutzen können.

die selbstorganisiation der grünen wie sie ist hat viele gute gründe die ich nachvollziehen kann, für mich persönlich war das aber trotzdem der grund warum ich 2009 nicht den grünen sondern piraten beigetreten bin (neben vielen inhaltlichen kröten die ich hätte schlucken müssen). es geht dabei aber nicht um besser oder schlechter, unterschiedliche menschen haben halt einfach unterschiedliche bedürfnisse.

mehr angebot kann daher nicht schaden. is natürlich irgendwie doof dass das nur im linken lager passiert und die progressiven parteien (ok, eigtl nur die SPD) dann ausschließen miteinander zu koalieren.

Justus Römeth

Moin, oder Ahoi oder so,

ich wollte ganz kurz etwas zum BGE sagen: Der Parteitagsbeschluss sollte im Prinzip so gesehen werden, dass die Piraten dazu gerne eine Gesamtgesellschaftliche Diskussion anstoßen wollen. Es werden innerhalb der Partei hierzu verschiedene Modelle erarbeitet, ich glaube aber nicht, dass es, das Ziel gesamtgesellschaftliche Diskussion vor Augen, für die Piratenpartei Sinn macht, sich auf ein Modell festzulegen, und alle anderen in der Versenkung verschwinden zu lassen. Insofern kann man uns natürlich vorwerfen, dass es kein konkretes Konzept, auch zur Höhe und Finanzierung von uns gibt.

Letztendlich fällt das aber zu kurz. Unser Politikansatz ist irgendwo auch auf Kooperation mit den anderen Parteien und Gesellschaftsgruppen aus. Wenn man das im Auge behält, macht der Programmpunkt wesentlich mehr Sinn.

Für das Verhältnis zwischen Grünen und Piraten bedeutet dies halt, dass ihr uns gerne als politische Mitbewerber behandeln sollt. Gleichzeitig solltet ihr aber zur Kenntnis nehmen, dass wir Fundamentalopposition ablehnen: Wenn ein politischer Mitbewerber etwas sinnvolles vorschlägt, sollte man dem grundsätzlich auch zustimmen können, Koalition und Opposition hin oder her. Wenn die Grünen dies im Umgang mit den Piraten beachten, und sich hierauf einstellen (statt uns an diesem punkt anzugreifen), werden wir sicherlich viel Freude aneinander haben.

MfG aus Hannover

Justus Römeth
Basispirat

Justus Römeth

Hallo Jörg.
Das sehe ich erst einmal anders (Überraschung 😉 ). Zunächst einmal müssen wir festhalten, dass es vor dem aufkommen der Piraten keine große politische Strömung gab, die sich für das BGE, in welcher Form auch immer, eingesetzt hat. Die anderen Parteien dazu zu zwingen, sich dazu zu positionieren, funktioniert ja erstmal auch so. Davon ausgehend, dass die Piraten so schnell (oder eher nie) eine absolute Mehrheit haben werden, braucht es zur Durchsetzung des BGEs einen Koalitionspartner. Ich finde, als Partei muss man sich dann erst für ein Modell wirklich bekennen, sobald man in die Nähe eines politischen und gesellschaftlichen Konsens kommt, dass Harz 4 schlecht und ein BGE an und für sich gut wären.

In der Politik der BRD wurden die Parteien bisher nach Inhalten und Personal gewählt (ab und zu war die Reihenfolge sicher umgekehrt). Wenn man allerdings die Positionen von Schwarz-Gelb zum Atomausstieg oder der Abschaffung der Wehrpflicht anguckt, werden die Inhalte, für die man gewählt zu werden glaubte, nicht immer umgesetzt (das ist uns in diesen Fällen sicher recht, aber darum geht es mir jetzt erstmal nicht). Das macht Politik in meinen Augen erst einmal noch unberechenbarer, und auch ein wenig unehrlich.
Die Piratenpartei hat nicht zu allen Dingen politische Meinungen, stellt sich also nur teilweise dem politischen Wettbewerb nach Inhalten (und versucht sich auch dem Wettbewerb der Personen etwas zu entziehen). Das ist unkonventionell, scheint aber von einigen Leuten auch honoriert zu werden (diejenigen, die nicht uns nicht (nur) aus Protest gewählt haben). Stattdessen hätten wir gerne einen Wettbewerb der politischen Meinungsfindung, und der politischen Zusammenarbeit. Ob sich das althergebrachte System, das sich ja auch die Grünen relativ bald in vielerlei Hinsicht relativ schnell angeeignet haben, unverändert durchsetzt wird sich im politischen Wettbewerb zeigen.

Unsere Kritik am bisherigen System ist ja nicht willkürlich: Sie rührt da her, dass wir merken, dass dieses anfällig für Lobbyismus von Wirtschaftsverbänden, Populismus und Aktionismus ist, und gerade in den Fällen ‚Freiheit im Internet‘ und ‚Geistiges Eigentum und der Schutz selbigens‘ zu aus unserer Sicht sehr schlechten Resultaten geführt hat. Ja, diese Resultate haben gute Leute bei euch Grünen wie Malte Spitz und Jan-Philip Albrecht auch bemängelt. Aber die Ursachen, oder Systemfehler, wenn man so will, die diesem aus unserer Sicht zu Grunde liegen, haben diese nicht so bemängelt oder in Frage gestellt, wie wir uns das vorstellen.

Justus Römeth

Ich versuche mal, mich kürzer zu halten:

Wenn das BGE gesamtgesellschaftlich schon debattiert worden wäre, wieso schlägt es dann als Forderung der Piratenpartei so relativ hohe Wellen? Ähnlich wie bei den grünen (oder liberalen oder jungchristlichen) Netzpolitikern war das doch eine Debatte unter Leuten, die vom ‚Mainstream‘ so gar nicht wahr genommen wurde, bis die Piraten es als einen ihrer wenigen Punkte angenommen hatten und damit in die Medien kamen.

Wenn deine zweite These stimmen würde, gäbe es ja gar keien Programmerweiterungen bei den Piraten, und somit hätte das BGE ja zum Beispiel nicht ins Programm aufgenommen werden können. Aber gut, warten wir doch einfach mal ab, ob und wie sich die Piratenpartei bei anderen Themen demnächst aufstellen kann, das wird einfacher sein, als das jetzt hier zu diskutieren, wo wir wohl eh zu keiner Einigung kommen. Aber auch die Beispiele von Kernenergie vor Fukushima oder die Freigabe von Marihuana und die Gesundheitsreform in den USA (auch wenn man das amerikanische System natürlich nicht mit dem deutschen vergleichen kann) zeigen ja ganz klar, dass in der klassischen Parteienpolitik auch nicht immer der Wille der Bevölkerung in entsprechenden Gesetzen landet. So viel demokratischer ist das dann imo auch nicht. Ev. demokratischer legitimiert und vor Populismus geschützt.

Zu S21: Wie in jeder Partei gibt es auch bei den Piraten Querschießer. Ich sehe zB das freie Mandat auch anders als diejenigen in der Piratenpartei, die es gerne der Basisdemokratie verbindlich unterwerfen würden. ‚Spinner‘ gibt es in jeder Partei, bei den Piraten wachstumsbedingt ev. etwas mehr als anderswo zur Zeit. Selbstreinigung und so.