Oh leeven Orwell, Vierunachtzich ess noh…

(Oh, lieber Orwell, Vierundachtzig ist nah)

…sangen 1980 BAP im „schöne Jroos“. „Affjetaut“ war meine erste BAP-LP, ich war 14, als ich sie mir gekauft hatte und das mit 1984 zunächst nicht verstanden. Es war das erste Mal, dass ich mit Überwachung beschäftigt habe. 7 Jahre später war ich in der damaligen Anti-Volkszählungsinitiative engagiert.

Den damaligen Ausblicke auf die IT-Welt (I&K-Technik) hatten für die Laien durchaus noch teilweise Science-Fiction-Charakter. Das teilweise hemungslose Eintauchen in die schöne neue Welt der internationalen, zeitgleichen Kommunikation – social networks – schien aber (zumindest mir) undenkbar. Die Gefahren sind der großen Masse der Menschen relativ unklar, der Nutzen überwiegt so stark, die Einrichtung von Datenschutzmaßnahmen wie Verschlüsselungstechniken ist vielen so unbequem (und offensichtlich zu kompliziert), dass sie gar nicht erst damit anfangen. (ich selbst bin da ja auch kein Ruhmesblatt, ich habe sehr früh teilweise schon meine Anonymität aufgegeben, weil ich die politische Arbeit im Netz mit offenem Visier machen wollte).

Angst macht mir die zunehmende wahrnehmbare visuelle Überwachung selbst im Alltagsgeschehen. Verkehrskameras, private Webcams, Überwachungskameras, wie sie bspw. der KVV (pdf) einsetzt, um dem Vandalismus in seinen S-Bahnen Herr zu werden. Dabei scheint es einfacher, Kameras einzusetzen und 48 Stunden lang die Videos aufzuheben als ein paar Leute einzustellen, die nicht nur aufpassen, das solcherlei nicht pasiert (da der KVV bisher nur auf ein paar Linien Kameras einsetzt, scheint das Problem nicht generell zu sein), sondern gleichzeitig Ansprechpartner und Fahrkartenkontrolleur sein könnten. Das würde nicht nur Arbeitsplätze schaffen. Schaut man sich (amerikanische) Krimi(-serien)s an, so wird einem klar, wie sehr es scheinbar normal ist, dass ErmitlerInnen auf die Bilder solcher Kameras zugreifen und (gerne vorkommende Szene: Aushändigen der Videoüberwachungsbänder einer x-beliebigen Tankstelle) der Zweck, die Ergreifung eines/r Täters/in denDatenschutz obsolet macht. Der KVV überwacht übrigens nicht nur die Bahnen, sondern auch die Einstiegsbereiche – mithin öffentlichen Grund.

16122009063[1]

Mit dem 11. September 2001 hat sich einiges geändert in unserer freiheitlichen Demokratie. Mit der Angst vor dem Terror – den man ernst nehmen muss, keine Frage – stellt sich aber die Frage, wieviel Freiheit man aufgeben möchte, um sich zu schützen vor den Folgen des Terrors. Nach dem missglückten Terroranschlag kurz nach Weihnachten 2009 twitterte ich noch:

ich tippe mal, dass früher oder später die CDU doch wieder bei Nacktscannern landen wird“

4 Tage später ist es soweit. Wollen wir das? Und, wieso wird eigentlich nur der Flugverkehr so überwacht? Und nicht auch der Fahrgast der Bahn? Zutrittskontrollen zu öffentlichen Gebäuden? Als ich vor zwei Jahren in Paris war, dachte ich noch: „wirkungsvoller als vor Notre Dame könnten islamische Extremisten keinen Terroranschlag durchführen“. Wäre die Gefahr so latent, gäbe es nicht viel mehr Anschläge? Oder werden die alle nichtöffentlich verhindert? Kann ich mir nicht vorstellen.

Was geht damit einher? Was ist mit unserer Freiheit, die mühsam erkämpft wurde. Nicht nur durch die „Befreier“ 1945, sondern auch durch eine gesellschaftliche Diskussion und Entwicklung, die dazu führte, dass wir in einer vermeintlich demokratisch verfassten Republik leben. Ist es der Zweck des Terrorismus, Menschen zu töten oder ist es, Angst zu erzeugen, die dazu führt, Freiheit und Grundrechte aufzugeben? Wer hätte 1990 gedacht, dass die führende Nation der westlichen Welt öffentlich bekannt Folter durchführen kann? Wer hätte daran gedacht, dass ein deutscher Minister laut darüber nachdenkt, die Ergebnisse von durch Folter erpressten Informationen zu verwenden? Wer hätte gedacht, dass sich ein Minister im Amt halten kann, der öffentlich verlautbart, ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zu ignorieren und er selbstverständlich auch ein Passagierflugzeug abschießen lassen wolle, sollte in Deutschland eine Situation wie am 11. September 2001 entstehen.

Mit diesen und vielen anderen Verlautbarungen einher geht Angst.

Angst braucht Waffen
Aus Angst vor dem Feind
Obwohl keiner so recht weiß
Wer ist damit gemeint?

[…]

Angst als Methode angewandt
Einschüchtern ist eingeplant
Angst stellt ruhig, Angst kriegt klein

[…]

Angst sich zu wehren
[…]
Angst vor der Angst
Wir schlafen ein

(Auszug aus Grönemeyer: Angst, LP „Sprünge“, 1986)

Diese Angst, die ruhig stellt, wenn erneut Grundsätze unserer freiheitlichen Demokratie auf den Prüfstand gestellt werden, ist allgegenwärtig. Einhergehend mit einer Haltung, die das Pochen auf Grundrechte verächtlich macht oder sie als Versprechen, dass der „Staat“ (dessen Teil man dann irgendwie nicht ist) gemacht hat und die er nun einzuhalten hat. Wir alle tragen die Verantwortung für die Erhaltung unserer freiheitlichen Grundordnung. Nicht nur der/die jeweilige „ICH“, sondern auch der Nachbar hat Grundrechte. Wenn wir zustimmen, dass ihm diese genommen werden, riskieren wir unsere eigenen. Wer das nicht versteht, handelt schlicht verantwortungslos.

 

Was mir aber im Rahmen der in diesem Blog stattfindenden Debatte um die Freiheit unserer Schützen auffällt,ist genau die Haltung, die ich oben kritisiere: sie reklamieren ihr Recht auf Besitz einer Schusswaffe als Ausdruck unserer Freiheit oder gar als Grundrecht. Folgte ich den Gedanken der Überwacher und Sicherheitsfanatiker, so müsste man eigentlich fordern, alle Waffenbesitzer permanent zu überwachen. Das wäre wirklich zu viel. Kontrollieren ja – Autos müssen ja auch zum TÜV – aber nicht dauerhaft und jederzeit.

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Christian Stahl

Wir Sportschützen werden doch schon überwacht und kontrolliert. Jedesmal, wenn ich einen neuen Eintrag auf meine grüne WBK beantrage, wird mein Zentralregisterauszug eingeholt, vergleichbar mit dem TÜV. Dort sind sämtliche Vergehen von mir aufgelistet und wenn dort steht, dass ich in einem kurzen Zeitraum öfters falsch geparkt habe, kann mir meine Zuverlässigkeit entzogen werden und damit auch meine Waffen.
Meines Erachtens nach, ist es in der Tat ein Ausdruck meiner persönlichen Freiheit, eine Waffe legal zu besitzen. Genauso wie ich die Freiheit habe einen Führerschein zu machen und in der Öffentlichkeit Auto zu fahren. Waffen zu besitzen ist keinesfalls ein Privileg wie ich es schon des öfteren von Waffengegnern gehört habe (z.B. von Mitgliedern des Aktionsbündnisses aus Winnenden mit denen ich mich unterhalten habe). Für den Erhalt meiner WBKs (grün und gelb) habe ich eine Sachkundeprüfung ablegen müssen, vergleichbar mit der Führerscheinprüfung. Ich musste den Nachweis erbringen, das ich meine Waffen gesetzeskonform aufbewahre, vergleichbar mit dem Nachweis einer Haftpflichtversicherung. Ich musste nachweisen, dass ich ein Jahr aktives Mitglied in einem Schützenverein bin, vergleichbar mit der Mindestzahl von Fahrstunden. Und so könnte ich noch weitere Parallelen aufzählen.
Sie schreiben doch selbst, dass Sie gegen diese Überwachung sind. Aber wenn ich mir die Beiträge in der Winnenden Debatte durchlese, glaube ich, dass Sie Leagalwaffenbesitzer nicht berücksichtigen wollen. Ich persönlich habe eine sehr grosse Angst davor, dass wir hier in Deuschland englische Verhältnisse bekommen. Orwell hat sich ja anscheinend nur um ein paar Jahre vertan. Ich hab etwas gegen diesen ganzen Verbots- und Überwachungswahn der gerade herrscht. Den meines Erachtens nach ist das Leben nicht besonders viel wert, wenn man keine Freiheiten mehr hat.

MfG
Christian Stahl

joerg

Sie werden verstehen, dass ich hier nicht auch noch eine Waffendiskussion eröffnen möchte. Aber Sie haben recht, da kreuzen sich die Themen – und ich hab mir ja schon einen Reim darauf gemacht.

[…] Ich habe der Überwachung in den Straßenbahnen und Bussen ein sehr skeptisches Gefühl gegenüber (Und habe dazu vor einiger Zeit in meinem privaten Blog schon mal etwas geschrieben). Das hat mehrere […]