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Alltagsrassismus in der Sprache

Die Diskussion um das N-Wort und gleich rassistische Wörter in der Literatur steckt voller Emotionen und fehlender Reflektion. Spricht man Menschen auf ihre rassistischen Äußerungen an, wehren sie sich in der Regel, es ja nicht „so“ zu meinen, außerdem habe man das doch so „schon immer“ gesagt. Andere finden, die Wörter, die sie benutzen, seien nicht rassistisch, auch wenn das Gegenteil längst erwiesen ist. Andere, wie der Tübinger Oberbürgermeister nennen Hinweise oder Kritik daran „Sprachzensur“ oder nennt diejenigen, die darauf hinweisen „„Moralapostel, Ankläger, Denunzianten, …“ Ein ehemaliger Klassenkamerad von mir, heute in der Region eine recht bekannte Persönlichkeit mit positivem Image, spricht davon, dass man diese „Unruhestifter“ entsorgen müsse. Es sind die, die diese verächtliche Sprache beibehalten möchten, die in ihren Reaktionen genau das reproduzieren, was ihnen vorgeworfen wird.

Dabei hat sich durchaus einiges verbessert, wenn auch noch lange nicht alles gut ist. Am eigenen Beispiel wurde mir klar, dass es positive Entwicklungen gibt. Der Blick zurück auf den deutschen Sprachgebrauch noch in den 1990er Jahren macht es deutlich. Mit wurde das eher zufällig klar.

Aktuell bin ich nach wie vor in Kurzarbeit und ich lese recht viel. Ich war schon immer ein „Bücherfresser“ und schaffe durchaus ganze Bücher an einem Tag. Vor kurzem las ich zum zweiten Mal  den Flussweltzyklus von Philip José Farmer.

Die Flusswelt ist ein fiktiver Planet. Auf diesem Planeten wurde von zuerst Unbekannten ein gewaltiger, zehntausende Kilometer langer Fluss angelegt, der sich von Pol zu Pol schlängelt. Am Ufer dieses Flusses werden eines Tages alle Menschen wiedererweckt, die seit der Steinzeit auf der Erde gelebt haben. Wer hier stirbt, wird alsbald an einem anderen Ort der Flusswelt wiedererweckt. Auf der Flusswelt gibt es, mit Ausnahme von Würmern und einigen Fischen, keine Tiere. Die Bewohner brauchen sich nicht mehr um ihr täglich Brot zu bemühen, es wird ihnen in einem persönlichen Materieumwandler, genannt „Gral“, serviert, der von einer pilzförmigen Maschine mit Energie versorgt wird.
(Wikipedia)

Eine kleine Gruppe unter der Leitung des Forschers Richard Francis Burton (der vorzeitig “erweckt” wurde und damit um das Geheimnis der Künstlichkeit dieser Welt weiß) bricht zum Nordpol des Planeten auf, um in einem dort sich befindenden Hauptquartier die Erbauer des Planeten aufzuspüren.

Das erste mal habe ich ihn 1990 gelesen – das weiß ich so gut, weil ich den dritten Band, den ich grad in der Mache habe, in der Kinderklinik im Rooming-In-Zimmer (auf einem Stuhl) gelesen habe, als damals unser Zweitgeborener wegen Kindergelbsucht dort war. In der Übersetzung wird an vielen Stellen das N-Wort benutzt. Damals fiel mir das überhaupt nicht auf, hat mich nicht gestört. So wenig wie bei Pippi Langstrumpf oder Huckleberry Finn und anderen Romanen oder Erzählungen, die ich gelesen habe. Heute stolpere ich drüber, jedes einzelne Mal. Oft stocke ich beim Lesen und denke drüber nach, wie selbstverständlich das doch war.

Es war für mich ein Lernprozess. Ich bin mit M-kopfweckle groß geworden. Dabei hab ich sie erst in der 5. Klasse entdeckt. Bis heute steckt dieses Wort in mir und obwohl ich gut weiß, was es bedeutet, ich achtsam bin – ab und zu rutscht es raus. Fast immer hab ich Glück und es formt sich zuerst im Gehirn und ich habe ausreichend Zeit, es auf dem Weg zur Zunge aufzuhalten. Würde es mir rausrutschen und man würde mich kritisieren dafür, würde ich nicht behaupten, dass ich es nicht „so“ gemeint hätte. Ich würde sagen: „Richtig, das zu sagen ist falsch. Ich weiß es und ich habe es mir fast abgewöhnt. Aber so wurde ich erzogen und ich hoffe, dass es irgendwann aus meinem Gehirn verschwindet, dieses Wort.“ Denn es ist anstrengend, es immer und immer wieder zu überwinden, wo ich doch das Produkt, das ich gerne mit Schokokuss bezeichne, esse – und meine Kinder auch. Es fällt mir schwerer als beim N-Wort – vielleicht, weil ich so viel weniger Kontakt zu Schwarzen hatte als zu dieser Süßigkeit. Ähnlich ist es beim Z-Wort.

Ich kenne Menschen, die sich selbst als Z*** bezeichnen. Für meine Eltern war Z**** aber ein Wort, dass sie abwertend für andere Menschen benutzten.  Ebenso wie der wegrennende Salzjude. Als ich in der Schule war, war es üblich, die italienischen Mitschüler als „Itaker“ zu bezeichnen.

Itaka war in der deutschen Landsersprache des Zweiten Weltkrieges die Abkürzung für italienischer Kamerad. Erst in den 1960er und 1970er gelangte der Begriff in die Umgangssprache als gängige, tendenziell abwertende Bezeichnung für „die Italiener (vgl. Ethnophaulismus), wobei sich die Endung zu -er wandelte, was Itaker ergab.
Quelle: Wikipedia

Und ich kannte auch die Begriffe wir Polake, Jugo, Kümmeltürke und so weiter. Niemand hat sich Gedanken gemacht, was er da sagt. Heute: kaum mehr vorstellbar.

Heute führen wir eine Debatte, als wäre nichts erreicht. Doch es ist anders. Nicht gut, bei Weitem nicht und der Versuch, einen Rollback herbeizuführen, ist offensichtlich. Auch das gehört zur Beschreibung von „Lifestyle-Linken“, wie sie Sahra Wagenknecht vornimmt und die sich rassistische äußernde Leute wie Boris Palmer zu gerne aufgreifen. Man will halt gerne weiter rücksichtslos durch die Gegen reden, wie einem der Schnabel gewachsen ist und ob man es so meint oder nicht – das geht am besten niemanden was an. Die Ausdrucksweise zu kritisieren, geht schonmal gar nicht.

Und doch haben sich die Dinge verändert. Und sie tun es weiter. Die Sprache wird sich weiter verändern und mit der weiteren Veränderung ändert sich auch die Bewusstheit und die Problematik bei der Verwendung diskriminierender Begriffe. Ja, sie werden weiter geäußert werden – aber eher von einer skurrilen Minderheit. Und sie werden jedes Mal auf mehr Unverständnis stoßen. Identitätspolitik ist und bleibt daher wichtig. Und zu der gehört das bewusst machen sprachlicher Diskriminierung. Wer denkt, dass sei ein Kampf gegen Windmühlen – der nehme sich Bücher die in den 197oer/80er Jahren übersetzt wurden – und die er:sie damals gelesen hat. Die Unterschiede sind größer, als man denkt. Es gibt Hoffnung. Und für die, die weiter an sich arbeiten möchten – dem empfehle ich das Buch „Wie Rassismus aus Wörtern spricht“ (siehe Beitragsbild)

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