Am 26. April 1986 ereignete sich die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl. Ich war an diesem Tag mit der Blasmusik des Ettlinger Wasens in Clevedon, England. Die Nachrichten bekamen wir nur am Rande mit. So richtig klar war mir nicht, was da passiert ist. Als wir am 27. April zurückkamen, wurde es deutlicher. Ich absolvierte damals im Lebensmitteleinzelhandel bei Pfannkuch – einer regionalen, nicht mehr existierenden Lebensmittelkette mit Sitz in Karlsruhe – meine Ausbildung zum Lebensmitteleinzelhandelskaufmann. Mit den zunehmende, besorgniserregenden Nachrichten und den verzweifelten Versuchen der damaligen CDU-Regierung, die radioaktive Wolke durch „es besteht keine Gefahr“-Reden umzulenken, bekam ich vor Ort mit, wie Milchpulverregale leergefegt waren, Salat teuer und es mir allmählich so ging wie allen Menschen: ich wusste, was Bequerel sind und ich machte mir ernsthaft Sorgen um meine Familie. Bis heute ist Wildfleisch und Pilze aus Bayern immer noch stark radioaktiv belastet, dass sie nicht verzehrt werden dürfen.
Meine ersten Reaktionen waren neben der alltäglichen Konfrontation bei der Arbeit auch Unglauben. Dann Wut. Wut auf verharmlosende Politiker. Heute weiß ich, dass dieselben Leute, die bagatellisiert haben, im Kindergarten ihrer Kinder die Empfehlung aussprachen, dass am besten niemand mehr draußen spielt.
Im Spätjahr 1986 beschloss ich, mich einer Anti-AKW-Initiative anzuschließen. Ich suchte und fand die „Bürgerinitiave gegen Atomanlagen und die Umwandlung des Atomforschungszentrums Karlsruhe in ein Forschungszentrum für alternative Energien“. Die nächsten 2-3 Jahre war ich dort aktiv, war mehrmals in Wackersdorf, auch im Oktober 1987. Ich „lernte“ politische Arbeit, kam in Kontakt mit den Karlsruher GRÜNEN, mit denen sich die BI damals das Büro (damals noch in der Kriegsstraße) teilte. Viele Personen engagierten sich ja in beiden Organisationen.
Ich erfuhr viel über das Kernforschungszentrum Karlsruhe – heute will es ja nur noch Forschnungszentrum heißen – und erlebte die eigene Ohnmacht gegenüber der Technikgläubigkeit in der Gesellschaft, der widerspenstigen Presse (BNN), die wenig Negatives berichten wollten und dem Ungaluben der Anti-AKW-Bewegung, die nicht fassen konnte, dass hier in karlsruhe schon all das lief – heiß lief – was anderswo erst geplant war: Reaktoren, ein schneller Brüter, eine Wiederaufarbeitungsanlage. Letztere beschäftigt uns in den letzten Monaten wieder öfter, sind doch Fässer mit radioaktivem Abfall aus der WAK in der Asse aufgetaucht. Und in diesen Tagen – gerade wieder verschoben – soll dort die heiße Phase der Verglasung von 70 m³ hochradioaktiver Abfallflüssigkeit – auch als „Atomsuppe“ bezeichnet- aus der Wiederaufbereitungsanlage. (Ich vermute ja zwischenzeitlich, dass man dort soviel Angst vor einem Unfall hat, dass sie erst nach der Wahl wirklich anfangen und bis dahin noch ein paar zeitliche Verzögerungen „auftauchen“, so wie gerade aktuell.)
1988 trat ich den GRÜNEN bei und war beinahe ununterbrochen Mitglied. Nach Familienphase und einem beruflichen Aufenthalt in Saarbrücken (während dessen ich übrigens 1997 den Verein „CareChild“ mitbegründete, der sich gegen Kinderpornografie im Internet engagiert) kehrte ich 1988 nach Ettlingen zurück, wurde dort grüner Ortsvorstand, Kreisvorsitzender, 2005 das erste Mal Bundestagskandidat und nun 2009 wieder.
Ohne den Reaktorunfall hätte mich wohl auch irgendwann engagiert, ich bin da ein wenig vorbelastet, aber ob es dieser Weg geworden wäre, wer weiß. Neben der Friedenspolitik – ich war in den frühen Jahren immer auf Ostermärschen- die ganz unter dem Eindruck des NATO-Doppelbeschlusses stand und bspw. dem Unfall mit Pershing-Rakten in Waldprechtsweier – ist die Antiatompolitik ganz sicher eine meiner stärksten Wurzeln.
Gerade daher ist es mir ein wichtiges Anliegen, gegen eine mögliche Kündigung des Atomkonsenses mich in diesem Wahlkampf zu engagieren. Ich habe übrigens diesen Atomk(n)onsens immer als nicht ausreichend empfunden und unter der Gefahr eines schwarz-gelben Sieges bei der Bundestagswahl ist er offensichtlich auch viel zu kurz gesprungen, ein schlechter Kompromiss. Man vergisst es leicht – diejenigen, denen wir mit Mühe damals diesen schlechten Kompromiss abgerungen haben, war die SPD. Das sind die, die sich heute gerne als Atomaussteigspartei generiert. Wären sie das, wären alle Reaktoren stillgelegt – die Roten wollten die langen Laufzeiten.
Zu dem Thema hab ich was wichtiges, was leider bisher in den Medien völlig untergeht: in der Slowakei soll ein der Bau zweier WWER-440/213-Reaktoren, der eigentlich 1993 abgebrochen wurde, fortgesetzt werden. Der Haken: Diese Reaktoren sind sicherheitstechnisch mit „veraltet“ noch euphemistisch beschrieben: Sie verfügen über keinerlei Containment, also keine zusätzliche Abschirmung zwischen Druckbehälter und Maschinenhaus – eine Bedingung, die in Deutschland selbst die älteste Krücke erfüllt (der finnische WWER in Loviisa besaß ein solches (aus den USA zugeliefert) schon 1977; vermutlich war es dort schon damals Vorschrift!). Über einen auch nur rudimentären Schutz gegen Flugzeugabstürze braucht man bei dieser Bauart gar nicht zu reden.
Links hierzu:
http://de.wikipedia.org/wiki/Kernkraftwerk_Mochovce
http://www.iaea.org/cgi-bin/db.page.pl/pris.powrea.htm?country=SK&sort=&sortlong=Alphabetic