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Bericht aus der Systemrelevanz

Regulär arbeite ich als Standortleiter bei einem Unternehmen, das Obstkörbe an Arbeitsplätze liefert. Der Karlsruher Standort ist der drittgrößte im Unternehmen, ich bin verantwortlich für 15 Auslieferungsfahrzeuge und 35 Mitarbeitende, davon 10 Minijobber und Werkstudierende.  Am 16. März haben wir Kurzarbeit beantragt, seit dem 20. März bin ich selbst in Kurzarbeit. Diese habe ich kurz unterbrochen, um an einem Samstag zusammen mit einer 450-€-Kraft das Kühlhaus zu räumen, in dem noch 3t Äpfel, Birnen und Clementinen lagerten. Wir haben sie an einen türkischen Lebensmittelhändler sehr günstig verkauft und dann mit einem Sprinter in fünfeinhalbstündiger Arbeit geliefert. Die Woche zuvor hatte ich 70 Karton (ungefähr 350 kg) schneller verderbliche Ware – Trauben und Pflaumen – an den Karlsruher Zoo gespendet.

voller Lieferwagen.

Einmal die Woche fahre ich ins Lager, um nach dem Rechten zu sehen. Es ist still dort. Das Kühlhaus brummt vor sich hin, die Autos stehen unverändert auf ihren Plätzen und werden vom Regen täglich ein wenig schmutziger. Ansonsten gibt es wenig zu tun – ich schau nach der Post, scanne evtl. ein Schreiben und schick es in die Zentrale.

Da die Kurzarbeit angekündigt war, habe ich noch rechtzeitig einen 450-€-Job gesucht – und gefunden. Im März wurde deutlich, dass Leute gesucht würden, die Regale in Supermärkten auffüllen. 5 Minuten von hier ist ein REWE und ich weiß, dass dort ein solches Auspackteam arbeitet. Da mir bewusst war, dass ich die Leute dort immer nur abends gesehen habe, bin ich für meine Verhältnisse spät einkaufen gegangen, habe dann dort gefragt und hatte am 23. März meinen ersten Arbeitstag. Ich verdiene Mindestlohn, 9,35 € und ich finde, dass das nicht angemessen ist.

1979 (13-jährig) hatte ich in diesem Bereich begonnen: Marktumbauten über das Wochenende. Das bedeutet damals: Regale ausräumen, putzen, eventuell abbauen, neu aufbauen/verschieben, füllen. So leer sind heute die Nudelregale, dass ich da fast ein Deja-Vue habe. Während der Schulzeit habe ich genau das, was ich heute mache, immer wieder gemacht: ich war Auspackhilfe und habe bei Warenlieferungen dem Marktpersonal geholfen. Allerdings war man damals noch direkt beim Supermarkt angestellt und erhielt einen tariflichen Stundenlohn.

1983 habe ich die Schule geschmissen und ’84 eine Ausbildung zum Lebensmitteleinzelhandelskaufmann begonnen. Während meiner Ausbildung entstanden die ersten Auspackteams. Damals konnte man im eigenen Unternehmen noch einen Nebenverdienst haben und so habe ich am Warentag oft bis Mitternacht Ware verräumt. Schließlich wurde ich ja im 3. Lehrjahr zum ersten Mal Vater und zuvor waren wir schon zu dritt.

1988 wurde ich Marktleiter und Auspacken gehörte zu meinen liebsten Aufgaben. Damals konnte man noch das Sortiment selbst mit bestimmen und auch Regale „spiegeln“, also Platzierungen selbst machen. Ich habe es geliebt.

1990, mit 24 Jahren, hab ich den Lebensmitteleinzelhandel verlassen – als Marktleiter hatte ich eine mindestens 60-Stunden-Woche, was nicht sehr familienverträglich war. Trotzdem macht ich sogar noch Sport nebenher.

ein sogenannter Elefantenfuß bzw. Rollhocker.

Es ist heute anders. Ich bin körperlich kaum mehr in der Lage bin, diesen Job auszuüben. Ich bin an das viele Bücken, in die Knie gehen, auf „Elefantenfüße“ stehen und Stehen nicht mehr gewohnt. Auch nach drei Wochen komme ich mit Muskelschmerzen nach Hause, die Füße und die Beine tun weh. Die Arbeit beginnt um 18 Uhr und endet, wenn wir fertig sind. In der ersten Woche  habe ich fast 20 Stunden gearbeitet, jetzt sind es 3 Abende pro Woche, im Schnitt 4,5 Stunden. Hätte ich vor 30 Jahren den Job nicht verlassen, wäre es sicher nicht so schlimm – allerdings sind Langzeitschäden ja nicht auszuschließen und wer weiß, ob ich dort überhaupt noch wäre.

Unter dieser körperlicher Anstrengung noch einen Mundschutz zu tragen, mit dem ich schwerer atmen könnte, kann ich mir derzeit nicht vorstellen. Die Kunden im Markt sind sehr unterschiedlich: es gibt welche, die gehen durch den Laden, als wäre nichts. Sie kommen mir immer mal näher als 1,50m. Manche tragen Mundschutz, ab und zu kommen welche mit Handschuhen. Zwei sehr aggressive Kunden habe ich erlebt: der eine wollte nicht, dass man überhaupt in seine Nähe kommt und hat verzweifelt versucht, von anderen weg zu bleiben. Der andere hat sich darüber beklagt, dass ein Kollege seinen Kumpels gedankenlos die Hand zur Begrüßung gegeben hatte und dann Ware eingeräumt hat. Als könnte man wissen, wer das Päckchen bisher in der Hand gehalten hat – auch, seit es im Regal steht. Beide Männer sind sehr laut geworden und waren kaum ansprechbar. Man hat ein hohes Risiko – schließlich bewegt man sich am Ende durch den gesamten Markt und begegnet vielen Menschen auf relativ engem Raum, wo man sich oft nicht aus dem Weg gehen kann. Und oft genug wird man nicht „gesehen“.

Zu meinen Kolleg:innen Abstand zu halten, ist auch schwer, wenn man gemeinsam eine Palette abräumt. Zu warten bis dieder Kolle:gin jeweils fertig ist: kaum realisierbar.  Nur alleine in einem Gang zu arbeiten – auch nicht realisierbar. Nicht so, wie heute gearbeitet wird. Die Ware kommt in der Regel auf Paletten, wird an den Kopfenden der Warengänge abgestellt. Aufsortiert sind sie nicht sortenrein, zumal ja auch nicht jeder Markt ganz gleich aussieht.  Man hat also verschiedene Abteilungen auf der Palette und sortiert sich einen Einkaufswagen mit Paketen für einen Gang. Es kann also durchaus sein, das man zu zweit im Konservengang arbeitet und sich in die Quere kommt. Abzuwarten, bis derdie Andere jeweils fertig ist, geht nicht. (also ginge schon, aber dann würde alles viel länger dauern). „Früher“ haben wir die Ware vor die Ware gestellt, dann gab es einen Mitarbeiter pro Gang. Das wäre auch heute noch zielführender – zumal man dann das Sortiment besser kennen würde.

Waren einräumen war früher ein fester Bestandteil des Berufs. Nicht nur die frische Ware, sondern auch die in den Supermarktregalen – von Kaffee bis hin zu Kosmetikartikeln. Irgendwann haben die Ketten angefangen, diesen Teil des Berufs an externe Dienstleister zu vergeben. Der Vorteil lag auf der Hand: der Dienstleister war nicht an den Tarifvertrag gebunden und bis zur Einführung des Mindestlohns konnte man die Mitarbeitenden auch nach Anzahl der erledigten Pakete bezahlen. Es waren erhebliche Möglichkeiten da, den Preis und den Lohn in der Folge zu drücken.  „Alt vor neu“ ist in der Regel keine Regel mehr – sollte schon, aber konsequent macht das niemand mehr. Wichtig ist, dass die Ware schnell in die Regale kommt. Die Hamsterkäufe haben dafür gesorgt, dass manche Altware verkauft wurde, die immer wieder nach hinten geschoben wurde. Der Vorgang des Wareverräumens wird durch zentrale Regalgestaltung entwertet , derdie Minijobber:in bekommt keinen adäquaten Lohn, eine Bindung an den Markt ist kaum dar, Anweisungen dürfen nur vom Teamleiter kommen, das Ladenpersonal hat keine Weisungsbefugnis. Ich versuche, so zu arbeiten, wie mach das mal gelernt habe, soweit das heutzutage noch geht. Aber natürlich komme ich an meine Grenzen.

Fazit: es ist halt ein Job, den man da macht. Und es ist schwere, körperliche Arbeit. Man füllt nur auf, es fehlt der Ausgleich, den man früher hatte: mal ne Stunde an die Kasse oder an die Bedienungstheke, die Zeit für Kundengespräche und -beratung, und so vieles mehr, was diesen Beruf auch ausmacht. Gesellschaftlich werden Mitarbeitende in Supermärkten seit Corona als systemrelevant betrachtet – die Auffüllenden werden so gut wie nirgendwo erwähnt. Wie in vielen anderen Dingen in dieser Krise: die ganz unten auf der Leiter werden übersehen.

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