Man weiß noch wenig über den neuen Landesbildungsrat BW, den Michael Mittelstädt, Vorsitzender des Landeselternbeirats zusammen mit einigen Mitstreitenden gegründet hat. Wie man hört und tw. weiß, sind nicht mehr wählbare Mitglieder des 19. Landeselternbeirats Baden-Württemberg darunter – wie unter anderem Michael Mattig-Gerlach aus Stuttgart sowie andere, die teilweise dem amtierenden Vorstand angehören und reguläre Mitglieder, die nun im Vorstand dieses neuen Bildungsrates sind. Das Ziel ist offenbar die Gründung eines Bürgerrates Bildung, der die Ziele, die diese Gruppe verfolgt, formulieren soll.
Dass der Vorsitzende des Landeselternbeirats einen Bildungsverein gründet, den er Landesbildungsrat nennt, ist an und für sich schon ein Politikum. Dass sich weitere Vorstandsmitglieder wie Eberhard von Württemberg darunter befinden, ein weiteres. Und dass weitere Mitglieder des LEB sich da wiederfinden – nun, das alles bedarf einer genaueren Betrachtung.
Die Journalisten, (hier bei der Schwäbischen)die sich dieser Neugründung angenommen haben, haben die entscheidende Frage nicht gestellt – sondern haben sich ablenken lassen.
Haben Sie deshalb den Landesbildungsrat gegründet? Sie sind doch bereits oberster Elternvertreter.
Als Eltern wird man nicht in dem Maße gehört wird, wie es für einen Kunden angemessen wäre. […] Wer soll aus diesem zementierten System auch eine Veränderung herbeiführen wollen?
Hier hätte man nachbohren können. Warum denn nicht im System die Veränderung gesucht wird. Warum nicht mit der Kultusministerin gesprochen wird. Warum nicht die Fraktionen im Landtag, die eine Veränderung der monierten Nichtmitsprache – eine Analyse, die ich ja teile – erwirken könnten, nicht gefragt werden, warum nicht Verbündete gesucht werden. Denn das sind die entscheidenden Fragen. Warum gründen Leute, die jetzt schon einen Zugang zu entscheidenden Stellen haben, einen Verein, der dies nicht hat? Warum diskreditiert der Vorsitzende des Landeselternbeirats die Arbeit dieses Gremiums, die ihre Basis im Schulgesetz hat und garantiert ist, auf diese Art und Weise. Wieso politisiert er und seine Mitstreitenden das Gremium nicht, sucht sich Verbündete im Landesschülerbeirat oder im Landesschulbeirat – worin sich sicherlich einzelne Mitglieder finden ließen, die diese Ziele – nämlich mehr Mitsprache und damit endlich Veränderungen in der Struktur der Bildungslandschaft – und versucht auf diesem Wege die Bildungslandschaft zu verändern?
Das dürfte zum einen daran liegen, dass der Landeselternbeirat in dieser Legislatur kaum eine Außenwirkung erzielt hat. Das liegt einerseits natürlich an der fehlenden Macht, die ein beratendes Gremium entwickeln kann, andererseits natürlich am Gremium selbst. Der LEB hat es verpasst, zu agieren, Beschlüsse zu fassen, an die Öffentlichkeit zu gehen. Wer das nicht glaubt – der schaue auf die Homepage. Der letzte Beitrag unter „Aktuelles“ erschien am 23.11.2021, eigene Pressemitteilungen gab es fünf Stück in diesem Jahr – bei 9 Sitzungen plus eine Klausur und der Möglichkeit, im Umlaufverfahren Texte abzusprechen oder gar selbst etwas zu tun.
Dabei gab es Themen zuhauf. Die Pandemie hätte es möglich gemacht, permanent Strukturen zu kritisieren – Stichwort Digitalisierung – , Vorschläge zu machen, mit Eltern ins Gespräch zu kommen. Letzteres wurde zu Beginn der Pandemie gemacht – mit dem Format „Der LEB hört wirklich zu“ und dann willkürlich wieder eingestampft. Es gab eine phasenweise Zusammenarbeit mit Gesamtelternbeiräten, die aber aufgrund persönlich schwieriger Interaktionen beendet wurden. Was ich als einfaches Mitglied machen kann – nämlich mich dem entziehen – hätte der Vorsitzende nicht tun sollen. Lehrer*innenmangel, Stundenausfall, Notengebung, Schulversuche, Grundschulempfehlung, längeres gemeinsames Lernen – alles Themen, in denen man hätte agieren können. Bei jeder Sitzung gab es den Tagesordnungspunkt „LEB intern“ – über die man hätte solche Themen steuern können. Wollte man nicht. Konnte man nicht. Hat man mit Elaboraten über den Bundeselternrat und all die Leute, über die man sich ausgiebig abfällig äußern musste – alternativ den Landesschulbeirat, ebenso – , verbracht oder Nachwahlen zu Gremien und so weiter. Anstatt die Zeit zu nutzen, für das, was man ja sonst nicht hatte: thematisch Einfluss zu nehmen. Auch an Sitzungstagen, die seitens des Ministeriums als Beratung „kurz“ waren, wurden nicht genutzt – dann war halt mittags Schluss.
Das eine Ziel ist also wohl die Etablierung eines Bürger*innenrats Bildung. Es gab diesen Anlauf in der Mitte der Legislatur schon einmal – ich persönlich habe für mich nach wenigen Treffen festgestellt, dass der Zeitaufwand neben Job, sonstigem Engagement, Landeselternbeirat und Familie(!) einfach zu viel ist, auch mit Unterstützung von „Mehr Demokratie e. V.
Das andere sind die Ziele, die man jetzt schon formuliert, dass sich auch die richtigen Bürger*innen angezogen fühlen. Mittelstädt sagt im obig verlinkten Interview:
Darauf, ob es richtig ist, dass fast die Hälfte aufs Gymnasium geht, selbst wenn sie dort nicht optimal aufgehoben sind. Auf den Zeitpunkt, wann sie sich auf die weiterführenden Schularten verteilen.
Das ist die Infragestellung der Verbindlichkeit der Grundschulempfehlung. Das kann man machen – aber im LEB hatte er dafür keine Mehrheiten. Im Kontext seines Vorgehens als Vorsitzender des LEB – nämlich sich aus der Rolle zu fallen und aktiv zu betreiben, dass ein Beschluss des LEB durch einen weiteren Beschluss konterkariert wird, wird deutlich, wohin die Reise gehen soll.
(Beschluss Maisitzung: Der LEB wird fordern, dass der Schulversuch G9 verlängert werden soll, anstatt generell eine Rückkehr zu G9 einzufordern und zusätzlich wird die Evaluation des Schulversuchs G9 gefordert. Das war das Ergebnis einer sehr langen, tw. sehr emotional geführten Debatte im LEB, ein mühsam herbeigeführter Kompromiss. In der nächsten Sitzung wurde der mit anderen Teilnehmenden, knapp an der Beschlussfähigkeit, gekippt und die Rückkehr zu G9 gefordert)
Also, man möchte die Verbindlichkeit der Grundschulempfehlung zurück, damit Kinder, die auf Gymnasien nicht „optimal aufgehoben sind“ dort nicht mehr hingehen. Der Pöbel soll nicht aufs Gymnasium – so kann man das auch übersetzen. Im gesamten Interview fällt nicht einmal das Wort „Bildungsgerechtigkeit“. Sondern
Wer soll aus diesem zementierten System auch eine Veränderung herbeiführen wollen? Das geht nur durch Menschen, die kein eigenes Interesse verfolgen – außer dem nach guter Bildung.
Was heißt gute Bildung, wenn sich ein Verfechter fürs dreigliedrige Schulsystem dahingehend äußert? Es heißt, „dass fast die Hälfte aufs Gymnasium geht, selbst wenn sie dort nicht optimal aufgehoben sind“. Wenn dieser Verfechter dann gleichzeitig pro G9 ist – dann ist das Gegenteil von guter Bildung.
Interessant auch:
Landeselternbeiratsvorsitzender bin ich, gewählt wurde ich als Vertreter für die Gymnasien in Freiburg. Gegen die Gymnasien schießen sollte ich also nicht.
Auch als Landeselternbeiratsvorsitzender ist er gewählt worden. Aus dem Gremium heraus. Es geht nicht darum, gegen irgendeine Schulart zu schießen, sondern sich dafür einzusetzen, dass der LEB im Sinne aller (im Sinne aus der Sicht von) Eltern (nicht der Schüler*innen) seine beratende Tätigkeit ausübt. Also alle Schularten gleichwertig anzusehen. Diesen Pfad hatte er aber spätestens nach der G9-Entscheidung im LEB verlassen – er ist also in der Frage nicht ehrlich. Die Rückkehr zum G9 wird auf dem Rücken aller anderen Schularten erkauft. Um sich als Vorsitzender für alle Schularten gleichermaßen einzusetzen, muss man nicht gegen Gymnasien schießen. Was für ein Missverständnis.
Noch ein Blick auf das Interview:
Es ist bizarr, wenn Lehrer als Treiber von Veränderung dargestellt werden, die jeden einzelnen Schüler im Fokus hätten. Das behaupten Funktionäre von Lehrerverbänden, und die sind leider die dominanten Meinungsmacher.
Für jede Schulart gebe es eine eigene Lobbygruppe, kritisierte Mittelstaedt. „Würde man etwas an der Struktur verändern, würden Pöstchen verloren gehen, zum Teil ganze Verbände. Man hat das Gefühl, die Kinder sind nur dafür da, das System zu füttern.“
Ich habe auch meine Probleme mit Lehrer*innenverbänden. Aber dass Lehrer*innen ihrer Interessen vertreten, das sei ihnen zugestanden. Sie tun das in den Verbänden der Schularten und sie tun das im Rahmen gewerkschaftlicher Tätigkeiten, der GEW. Die Schulartenverbände sind tatsächlich Interessenverbände, denen daran gelegen ist, dass ihre Schulart erhalten bleibt. Schließlich haben sie eine entsprechende Ausbildung. Folgerichtig kam der stärkste Widerstand gegen die heutige Gemeinschaftsschule auch aus dem Realschullehrerverband. So wie heute die Rückkehr zum G9 vor allem aus dem Philologenverband gefordert wird. Hier geht es aber nicht um „Pöstchen“, sondern es geht um Mitsprache. Auch Lehrer*innen sind von möglichen Strukturreformen betroffen und sie müssen mitreden dürfen, es ist unabdingbar. Denn sie müssen am Ende umsetzen, was beschlossen wird. Dass sie sich zu allen möglichen Themen zu Wort melden, ist eine Frage der Demokratie, der Mitsprache. Herr Mittelstädt vergisst mit seinem Verein ganz, dass Lehrer*innen übrigens auch oft Eltern sind.
Fazit: es gibt einen neuen Verein, der sich für gute Bildung einsetzen will und in dem Personen agieren, die sich nicht für gute Bildung einsetzen, sondern die in der Vergangenheit bewiesen haben, dass die einzige Strukturreformen, die sie interessieren, mehr Lehrer*innen sind – und die Rückkehr zum G9. Die sich abfällig über Berufsvertretungen und Gewerkschaften äußern und unterstellen, dass es diesen alleine um Pöstchen ginge. Die in knapp drei Jahren nicht in der Lage waren, eine gute Verbindung zu Ministerinnen, den Mitarbeiter*innen in Ministerien oder anderen Gremien aufzubauen, um ihre Ideen gemeinsam mit diesen vorzubringen und ihnen so ein größeres Gewicht zu verleihen. Was auch daran liegt, wie die jetzt als Vorsitzenden agierende Person aufgetreten ist. Mein Fazit: diese Kopfgeburt braucht es nicht. Was es braucht, ist eine demokratische Schulreform, die wirklich das Wohl aller im System befindlichen Personen im Blick hat, gemeinsam mit diesen entwickelt wird. Ein Verein, der so abfällig über diese Personen spricht (und das sind Eltern mit anderer Meinung, Lehrer*innen, Ministeriumsmitarbeiter*innen und die Minister*innen), kann nicht Treiber oder gar Moderator dieser Reform sein. Denn er hat sich schon und auch nicht nur mit diesen Interviews ins Abseits gestellt.