die Lücken des Sozialstaates

In meinem Berufsleben als Sozialpädagoge und der Durchführung von Reintegrationsmaßnahmen hab ich schon einiges erlebt. Ich habe mich über wunderbare Erfolge gefreut, wenn ein Mitte- oder Endfünfziger wieder eine bezahlte Tätigkeit und Aufgabe gefunden hat. Ich hab erlebt, wie Menschen aufblühen, wenn sie nach mehreren Jahren Arbeitssuche endlich wieder eine bezahlte Stelle finden, aber auch erleben müssen, wie jemand alle Tricks anwendet, nur um nicht arbeiten gehgen zu müssen – letztere sind die absolute Minderheit.

Man denkt immer, nichts könnte einen mehr erschüttern. Man hat gelernt, loszulassen und dass man alleine nicht die ganze Welt retten kann. Irgendwann hatte ich eine Teilnehmerin, 56 Jahre alt. Hat eine typisch deutsche Hausfrauenehe geführt, 4 Kinder großgezogen. Ihr Mann war Beamter und hat finanziel gut für sie gesorgt und sie war zu Hause und hat ihm die Socken gewaschen oder für ihn gekocht. Wer’s mag und wenn sich alle Beteiligten einig sind, sagt man.

Jedenfalls war sie all die Jahre über ihn familienversichert. Beihilfeberechtigt. Private Krankenkasse. Jetzt, über 55, benötigt sie nach der Trennung eine eigene Krankenversicherung. Sie hat keine Berufserfahrung, war 25 Jahre zu Hause. Ist gesundheitlich angeschlagen und findet so natürlich erstmal keinen Job. Aber selbst wenn – sie könnte sich nicht mehr gesetzlich krankenversichern. Im Gesetz steht:

„Personen die nach Vollendung des 55. Lebensjahres krankenversicherungspflichtig werden, bleiben krankenversicherungsfrei, wenn sie in den letzen 5 Jahren vor Eintritt der Versicherungspflicht nicht gesetzlich krankenversichert waren.“

Das heißt: Man kann nicht mehr zurück in die gesetzliche Krankenversicherung, wenn man in den letzten 5 Jahren bevor man eigentlich krankenversicherungspflichtig würde, nicht gesetzlich krankenversichert war. Nun steht sie da, bezieht Hartz IV und nur dadurch werden ihre Kosten für die KV (privat, Basistarif) zur Hälfte übernommen. Die andere Hälfte muss sie selbst zahlen, damit sie überhaupt krankenversichert ist. Wenn sie Rente bekommt, wirds noch enger. Wenn sie nen Job bekommt, wird sie nicht pflichtversichert. Motivation, eine Vollzeitstelle anzunehmen: gleich Null. Verständlicherweise. Solange das Amt aufstocken muss, kriegt sie wenigstens noch die Hälfte. Sonst nichts mehr. Und mit 25 Jahren Berufserfahrung als Hausfrau und Mutter wird die Einkommensdifferenz zwischen Vollzeit- und Teilzeitstelle nicht so groß sein.

Dieses Gesetz ist falsch. Richtig gedacht, um Missbrauch zu verhindern. Aber Härtefälle müssen regelbar sein – denn diese Frau hatte unter der Annahme, sie bleibt bis an ihr Lebensende bei ihrem Mann, keine Wahl in all den Jahren.

Und die einzig richtige, langfistige Lösung wäre: Abschaffung der privaten Krankenversicherung, Überführung dieser in den Wettbewerb mit den gesetzlichen mit gleichen Leistungen. Eine Bürgerversicherung, in die alle einzahlen und alle die selben Leistungen bekommen.

Ich hab übrigens versucht, eine Ausnahmeregelung bei deiner Krankenkasse zu erreichen. Lapidare Antwort der telefonierenden, jungen Sachbearbeiterin: keine Chance, dafür ist das Gesetz gemacht. Wir nehmen sie nicht auf.

Ich werde eine Petition schreiben. Für eine Ausnahmeregelung im Gesetz. Wer unterschreibt?

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Ute

Ich ernnere mich düster, dass bis vor ein paar Jahren keine Kasse die Dame versichert hätte. Von daher nur eine kleine Verbesserung. Gut dass ich nie aus der gesetzlichen raus bin, hab ich wohl geahnt, warum.
Ute

Gertrud

Auf jeden Fall ist hier eine Ausnahmeregelung nötig!!! Ich bin selbst davon betroffen, da ich in Scheidung lebe und über 55 bin. Seit 5 Jahren erst über meinen Mann in der privaten Krankenkasse mitversichert. Im Glauben damals noch, dass die Ehe für immer ist. In meiner Vorversicherungszeit fehlen mir 17 Tage, die ich zu wenig in der gesetzlichen Krankenkasse versichert war. Unglaublich!!!
Ich befasse mich seit Monaten damit. Habe unzählige Beratungsstellen und Behörden aufgesucht. Es kann doch nicht sein, dass es keine Härtefallreglung gibt.
Ich unterschreibe sofort die Petition. Habe selbst eine eingereicht aber noch keine Nachricht.

Gertrud