oder doch nur Frauenpolitik?
Die grüne Bundestagsfraktion befand sich in Klausur. Das nutzt sie dazu, ein paar Beschlüsse zu fällen. Es muss ja nicht nur Papier, sondern auch Inhalte produziert werden, Handlungsmöglichkeiten ausgelotet, Leitlinien und Perspektiven beschlossen werden. Dazu sind Klausuren unter anderem da.
Zu einem relevanten Teil ging es um Gleichstellungspolitik und ich hatte dazu einen kurzen Twitterdisput mit Beate Müller-Gemecke, die ich ja als Sozial- und Arbeitspolitikerin sehr schätze, in dem ich schon vermutete, dass es weniger um Gleichstellungs- sondern eher um Frauenpolitik ginge. Das Papier, das dazu heute veröffentlich wurde, heißt dann wohlweislich: GLEICHSTELLUNG IM LEBENSVERLAUF – die PDF_Datei aber „Beschluss_Weimar_Frauen“ und das Papier dreht sich auch praktisch um die Rolle der Frau in der Welt und ihre Benachteiligung. Nicht das ich das alles negieren würde, aber ich finde nach wie vor, dass zu einer erfolgreichen Frauenpolitik auch eine erfolgreiche eigenständige Männerpolitik gehört – oder aber eine deutlichere Unterwerfung unter das Prinzip Gender Mainstreaming.
Das Papier beginnt mit Sätzen wie:
Frauen sind weniger erwerbstätig als Männer und arbeiten in schlechter bezahlten Branchen, sie sind öfter in beruflichen Auszeiten oder Arbeit in Teilzeit oder Minijobs.
Das ist richtig. Aber eben nicht nur. Daher gehe ich einen Schritt zurück und hole mir mal aus der Wikipedia die Definition von „Gleichstellung„:
Unter Gleichstellung versteht man die Maßnahmen der Angleichung der Lebenssituation von im Prinzip als gleichwertig zu behandelnden Bevölkerungsgruppen (wie Frau und Mann) in allen Lebensbereichen.
Und daher muss dieser Satz entpauschalisiert werden. Das Bremer Institut für Arbeitsmarktforschung und Jugendberufshilfe liefert für Dezember dazu folgende Zahlen:
Der Anteil der Frauen an der registrierten Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik Deutschland betrug im Dezember 2012 46,0%. (Dezember 2011: 46,9%)
Die schlechter bezahlten Branchen in dieser Pauschalität wage ich zu bezweifeln, denn wenn ich dran denke, dass Männer bspw. überwiegend im Paketdienst arbeiten und mir dazu noch ein paar weitere Beispiele einfallen würden wie der Sicherheitsdienst, Gebäudereiniger (da wo Fensterreinigung mit drin ist) Haus- und Hofdienste, und so weiter – dann ist diese Verpauschalierung ein Schlag ins Gesicht der Männer, die ebenfalls von Niedriglöhnen betroffen sind. Und ob wie so bei „überwiegend“ landen, ist für mich nciht völlig klar – aber möglicherweise gibt es irgendwo eine Statistik?
Die beruflichen Auszeiten und die Mini- und Teilzeitjobs – das sehe ich ähnlich. Aber hier fängts dann an: wieso ist das nur ein Problem, bei dem die Politik auf die Frauen schauen muss? Ist es denn nicht eher so, dass man auch Männern dringend den Weg in Teilzeitarbeit leichter machen muss? Ist die Anforderung an „Männerjobs“ nicht praktisch ausschließlich die Bereitschaft, Vollzeit zu arbeiten. Ich sehe täglich, dass es gerade Männer, die gesundheitlich angeschlagen sind, schwer haben, eine Stelle zu finden, die ihrer verminderten Leistungsfähigkeit entsprechen. Und junge Familienväter, die gerne ihre Arbeitszeit reduzieren möchten, stehen oft genug vor dem Problem, dass sie das nicht können.
Im Papier geht es weiter mit:
Eine moderne Gleichstellungspolitik muss also den gesamten Lebensverlauf in den Blick nehmen
Korrekt – aber warum wird dann nur wieder über Frauen geredet? Nur wenn sich für Männer und Frauen etwas ändert, wird sich die Situation für beide Geschlchter verbessern.
Es folgen 5 Punkte, die ich alle so unterschreibe – bis auf
Beim Unterhaltsrecht wiederum wird die sonst so dominante Absicherung über die Ehe durchbrochen, hier wird die schnelle finanzielle Eigenständigkeit der Partner nach einer Scheidung gefordert.
was völlig in Ordnung ist, wenn man davon ausgeht, dass man nach einer gewissen Zeit, die ja auch immer noch vorgesehen ist, sich wieder um sein eigenes Leben kümmert, wenn man geschieden ist. Ja, es braucht Übergansfristen für Ehen, die schon länger andauern – aber ich finde, ab einem bestimmten Stichtag ist das nicht mehr zu rechtfertigen. Daher konstatiert man weiter unten auch richtig:
Frauen müssen heute – genauso wie Männer – grundsätzlich selbst für ihren Unterhalt sorgen.
Väter und Männer kommen zwar vor in diesem Papier – aber eben „auch“ vor.
Aber auch Väter wünschen sich mehr Zeit mit der Familie
Der Satz ist falsch. Familien wünschen sich, dass beide zusammen mehr Zeit für Familie haben. Kein „auch“. Keine Überraschung, keine Almosen, kein Ergebnis von Erziehung – sondern eine Selbstverständlichkeit. Noch immer wird so getan, als müssten Männer dazu getrieben werden, Familienarbeit zu leisten:
Auch für Männer wären die Anreize größer, ihre Arbeitszeit zeitweise für Sorgearbeit zu reduzieren
Ansonsten steht da natürlich viel richtiges drin – aber der Grundtenor bleibt gleich: in diesem Politikfeld machen wir vor allem Politik für Frauen. Eine eigenständige Männerpolitik in diesem Bereich ist nicht notwendig – sagt ja auch Katrin Göring-Eckart in diesem Streitinterview mit Ursula von der Leyen.
Wenn Jungs das Gefühl haben, dass das tollste Vorbild ein Macho ist, sollte man darüber reden. Dafür brauchen wir aber keine neue Männerpolitik, das ist ganz normale Bildungspolitik.
So ist das nur ein weiteres Papier, das alte Forderungen zwar richtigerweise neu auflegt – aber immer noch nicht den Sprung zu einer Gleichstellungspolitik schafft, die diesen Namen auch verdient. Der Grundton bleibt: Männer müssen zu richtigem Verhalten erzogen werden. Und auch wenn ich das bei einzelnen MdBs nicht wahrnehme, so bleibt bei mir, der ich jetzt viele Jahre Genderpolitik mache, diese Wahrnehmung da. Ich erinnere mich gut, wie ich angegangen wurde, als ich vor 4 Jahren den Halbsatz „aber auch Männer sind zunehmend davon (Vereinbarkeit von Familie und Beruf) betroffen“ im Wahlprogramm haben wollte. Dafür habe ich einen ganzen Tag lang verhandelt.
Solange sich meine grüne Partei nicht wirklich innerlich von dieser Haltung löst, solange wird sie nicht in der Lage sein, eine gerechte Gleichstellungspolitik zumindest einmal zu formulieren. Männer wie Frauen brauchen eigenständige Akzente, individuelle Anreize und Rücksichtnahme. Scheißjobs gibt es für jedes Geschlecht. Katrin bestätigt diese Haltung, während ich diesen Beitrag schreibe übrigens mit diesem Tweet:
Welche Männer will man mit solchen Aussagen erreichen? Welche Frauen?
Für die ganz normalen Menschen da draußen ist das so nicht relevant. Menschen brauchen Vorbilder.
Wenn die smarte Biochemikerin in der TV-Serie „Post Mortem“ einen grausamen Mordfall löst, dann begeistert das Frauen für den Beruf. Die TU Berlin will deshalb in Serien für technische Berufe werben.
Wem ständig der Zeigefinger gezeigt wird, wird sich nicht kooperativ verhalten, sondern rebellieren (oder resignieren). Deshalb wird es Zeit für eine echte grüne , die Frauen und Männer ernst nimmt in dem, was sie brauchen, um diese für sich auch umzusetzen. Männer sind anders. Frauen auch. Aber gemeinsam sind sie vor allem Menschen, mit meist ganz ähnlichen Bedürfnissen, abseits aller Klischees. Ein gutes Leben, genug zum Leben, Sicherheit. Daran gilt’s zu arbeiten – nicht neue Klischees zu produzieren.
Wenn sich die Gender-Ideologie in der jetzigen Form weiter durchsetzt ist allerdings ist zu erwarten, dass die Hauptleidtragenden die Frauen sein werden. Denn wenn die eigentlichen weiblichen Vorteile und Überlegenheiten ausgeredet oder gar negativ bewertet werden, ist die innere Identität zerstört und es bleiben nur noch Äußerlichkeiten, die dann kultmäßig in den Mittelpunkt rücken (Diäten, Schönheitsoperationen, Castingshows usw.) [Kommunikationswissenschaftlerin Petra Grimm, 2010: Mädchen ziehen zunehmend Selbstbewusstsein daraus, Jungen als Sexobjekte zu dienen].
Gefahr: Frau wird zur Ware (Leihmutter, Eizellenlieferantin, Prostitution usw.)
Die Überredungs-Ideologie, dass Gleichberechtigung nur durch Aufhebung der Geschlechtrollenunterschiede möglich sei, kann bei Frauen mit den anderen selbst erlebten motivationalen Grundlagen zu inneren Konflikten und damit zu Depression und anderen ernsthaften psychischen Problemen führen [Moulton, 1977]
Gleichheit kann sich höchstens addieren, Verschiedenheit kann wesentlich mehr erreichen (siehe Buch: „Vergewaltigung der menschlichen Identität; über die Irrtümer der Gender-Ideologie“)
Es geht nicht darum, die Unterschiede aufzuheben, sondern jedem/r nach eigenen Stärken die besten Chancen zu eröffnen. Denn nicht für jede/n passen die Rollen, so wie sie sind. Und die Rollenerwartungen, wenn sie nicht erfüllt werden können, führen ebenfalls zu inneren Konflikten. Deshalb ist es wichtig, diese zu überwinden. FÜr Männer und für Frauen.
Danke für diesen klugen und dieser Form selten gehörten Beitrag. Ich wünsche mir eine Partei auf dem Wahlzettel und in den Talkshows, die familienpolitisch eine pragmatische Lösung im Programm anbietet, wie mehr Männer in Teilzeitarbeit gebracht werden können! Denn ich behaupte, dass die de facto nicht vorhandene Möglichkeit in „typischen Männerberufen“ als Mann in Teilzeit zu arbeiten, Männer ungewollt in ihrem Rollenbild zementiert.
Was mich in der ganzen Gender-Diskussion am meisten stört ist die Tatsache, dass sich viele in einen selbst geschaufelten Graben begeben: es ist von DEN Frauen, DEN Singles, DEN Müttern etc. die Rede, genauso wie von DEN Alpha-Männchen, DEN Vätern etc.. Ist es nicht vielmehr so, dass jeder Mensch mal Single, mal erziehend, mal karrieregeil und in manchen Phasen des Lebens eher auf Ruhe aus ist? Um danach wieder was anderes zu machen. Ich wünsche mir eine Diskussion, die mich abseits von Rollenbildern einen für meinen Lebensabschnitt passenden Entwurf wählen lässt. Und Frauen lässt man wählen, sie bezahlen als Gruppe mit schlechterem Einkommen und m.E. schlechteren Karrierechancen. Männer können schlechter wählen…. Sie bekommen bessere Einkommen und bezahlen mit ihrer Gesundheit. Das gilt es zu durchbrechen! Und dafür brauchen Männer zuerst mal Wahlfreiheit.
Danke für den Beitrag!
Als langjähriger Grün-Wähler brauchte ich einfach mal wieder das Gefühl, jemanden vernünftig reden zu hören. Also z.B. über notwendige Männer-Emanzipation, ohne das reaktionäre Gefauche der Maskulisten.