Vor kurzem habe ich es schon getwittert: manche GRÜNE reagieren mit beinahe den gleichen Reflexen auf die Piraten wie die SPD auf die Linke. Ich empfand es im Wahlkampf als anmaßend, als man Piratenwählern eintrichtern wollte, dass sie letztendlich nur die CDU und FDP stärken würden, wenn sie ihre Partei wählen würden statt GRÜNE. Und das wir das sowieso besser könnten.
Dabei liegen die Versäumnisse doch bei uns. Nicht erst seit gestern wird die Gängelung von FilesharerInnen durch die Medienmächte – Film- und Musikindustrie debattiert. Aber erst mit dem Aufkommen des sog. Web 2.0 – der Rückkehr des Netzes in ein nicht zu kontrollierendes Kommunikationsmedium, indem zunehmend Vernetzung von Bürgern stattfand, Inhalte, Kommentare und Gegenöffentlichkeit zu den von den großen Medien verbreiteten Meinungen aufkam. Die Versuche des Innenministers, mit Vorratsdatenspeicherung und dem Bundestrojaner seinen eigenen Verschwörungstheorien Herr zu werden, wurde es zusehends klarer, dass diese Politik eine fachlich versierte Gegenöffentlichkeit braucht.
Mit dem Erfolg der schwedischen Piraten bei der Europawahl begann der Siegeszug in Deutschland. Danach das Zensurgesetz von Ursula von der Leyen, die Abstimmung und fatale 15 Enthaltungen seitens der GRÜNEN. (Ja, ich weiß, das ist jetzt alles stark verkürzt, aber mir gehts jetzt weniger um eine historische Betrachtung, sondern um die Folgen). In der Wahlkampfendphase vor der Bundestagswahl dann bis zu 80 Eintritte pro Tag bei den Piraten. Alles in allem eine Erfolgsgeschichte – aus dem Nichts (Ende 2008 noch knapp 1000 Mitglieder) hin zur siebtgrößten Partei in Deutschland.
Die grünen Versäumnisse begannen schon mit dem Programmentwurf für das Bundestagswahlprogramm. Zum Thema Internet fand sich erschreckend wenig Substantielles, zu Überwachung im Kapitel Bürgerrechte ein bißchen was. Erst im 13. Kapitel räumte man dem Internet Raum ein – mit durchaus richtigen Ansätzen. Aber wahrnehmbar war das soweit hinten für viele nicht mehr – und sagt ja auch viel über den Stellenwert dieses Themas aus. Internetaktivisten wie Julia Seeliger wurden von vielen eher belächelt.
Aus diesem Versäumnis nun einen Anspruch auf: “wir können das besser” oder “wir fordern das ja schon lange” zu formulieren, halte ich für völlig unangebracht. Denn Fakt ist wohl, dass es den Piraten gelungen ist, Menschen für Politik zu interessieren, denen das vorher mehr oder wenig völlig egal war. Sie haben Menschen begeistert, bei denen uns das vorher nicht gelungen war und um die wir uns in der Form auch nicht bemüht hatten. Die vielleicht auch parallel dazu von unserer Etablierung im Parteiensystem nicht angetan waren. Die was Neues wollten. Dazu einige, die schon lange eine Alternative zu den GRÜNEN suchten. Aber auch welche, die eine Alternative zur FDP suchten – oder gar zur SPD.
Interessant war auch, dass man den Piraten ihre überwiegend männlichen Mitglieder vorhielt. Ich bin überzeugter Gender Mainstreamer – und finde, dass wir für uns mit Quoten und Parität einen guten Weg gefunden haben, mit dem Ungleichgewicht der Geschlechter umzugehen. Aber deshalb können wir doch anderen Parteien nicht unseren Weg aufpropfen – noch dazu so oberlehrerhaft, wie das teilweise geschah. Und eines ist gewiss – ITler sind von Männlein-Weiblein-Debatten eher genervt – und die Piraten in diesem Punkt (uns interessiert das nicht) zunächst mal glaubwürdig. Natürlich wären mehr Frauen wünschenswert – wenn sie es selbst so sehen. Der Hammer kommt dann, wenn man ihnen indirekt vorwirft, dass sie bei ihrer Angabe von 13% 9% JungwählerInnen unterschlagen, dass sie von überwiegend Männern gewählt wurden. Wie wenn das schlecht wäre. Und sie hatten ja davor schon betont, dass das kein Thema für sie ist. Also, so gewinnt man die nicht für sich.
Gewinnen kann man nur, wenn man die Problematik ernst nimmt. Wenn man ihren Themen die Relevanz einräumt, wie sie für ihre WählerInnen interessant ist – und nicht erst in Kapitel 13 des Wahlprogramms. Es sind nicht “unsere Stimmen”, es sind ihre. Denn sie haben sie gewonnen – und wir nicht. Wir müssen an unserer Netzpolitik etwas ändern, sie nach vorne bringen. Wir haben mit Malte Spitz jemanden im Bundesvorstand, der diese Thema adäquat umsetzen kann – ich hoffe nur, er hat die Macht, es auch weiter nach vorne zu bringen. Kompetenz bringt er sicher in die Partei – und ist auch schon dabei, sich einzubringen. Schade, dass Julia Seeliger durch ihren Job bei der taz nicht weiter aktiv sein kann….Und unseren neuen, jungen Abgeordneten wird in diesem Themengebiet auch hoffentlich genügend Raum eingeräumt – und auch Gehör und Präsenz verschafft. Bevor sich Jürgen Trittin zum Netz äußert, hoffe ich was von Agnieszka Maczak zu hören – von wegen Kompetenz und so.
Und die Piraten? Die sollte man jetzt einfach mal machen lassen. Sie sind mit Strukturaufbau beschäftigt, damit, die Enttäuschung zu überwinden, doch nicht in den Bundestag eingezogen zu sein, sie müssen Ihr Haltung zu Themen finden, die nicht nur was mit dem Internet und dem PC zu tun haben (ok, schon die erste Anmerkung – ich kenn das Programm nicht in jedem Detail, es sollte daher besser heißen: die über das hinausgehen, was sie bislang programmatisch erarbeitet haben), sich selbst bereinigen, ihr Verhältnis zur rechten Szene klären, denn da sind sie schlicht unpolitisch, müssen aufpassen, dass sie nicht von wem auch immer instrumentalisiert werden undundund. Mal sehen, ob sie zur Landtagswahl in Baden-Württemberg antreten und ob sie die 4 Jahre bis zur nächsten Bundestagswahl schaffen – auch in der Aktivität. Sie bleiben mir symphatisch – aber sie sind auch nicht meine Partei. Ich freue mich, wenn ich als “Pirat bei den Grünen” bezeichnet werde – aber ich bin ein Grüner bei den GRÜNEN – und werde das auch bleiben.