grüne Volkspartei

8% im Bund, 11% im Hessen. Das ist das Ergebnis grüner Politik in einer Zeit, in der die Energiewende zu kippen droht, der Sozialstaat kurz vor dem Ende und die Menschen trotz schrecklicher Ökobilanz bei Zalando, ALDI, LIDL einkaufen, als gäbe es kein Morgen. Grüne haben zu oft und zu lange gerade auf die Praxis in der Produktion von Endverbraucherprodukten und die Konsequenzen des persönlichen Handelns hingewiesen, um zwischenzeitlich als Bevormunderpartei wahrgenommen zu werden. Dabei ist es ja richtig, dass persönliches Handeln folgen hat – für jedes Paar Unterhosen aus Bangladesh wird dort ein junger Mensch ausgebeutet, für jeden km/h über 120 auf der Autobahn wird zuviel CO² ausgestoßen. Verbraucherboykott könnte etwas bewirken – aber noch ist die Empörung zu klein, noch fühlen sich die Menschen nicht betroffen von dem, was da passiert. Dass es anders geht, zeigen die Ereignisse rund um den LIDL-Überwachungsskandal oder die Schleckerpleite – da haben Menschen am Ende mit den Füßen abgestimmt. Die Menschen von etwas zu überzeugen, sich zu begeistern für ein Ziel – das muss wieder Kern grüner Politik werden.

Die Mitte ist da nicht das Ziel – um die werben alle. Die Protestler wählen Links, AfD und keine Piraten mehr. Wo könnte also grünes Wählerpotential liegen, um aus uns die grüne Volkspartei zu machen, die sich viele so sehr wünschen? Ich finde, man sollte mal darüber nachdenken, aus mehr als diesem Grund, wer die Gruppe der Nichtwähler_innen ist. Denn hier liegt viel ungenutztes Potential, wie man den neuesten Studien dazu entnehmen kann.

Menschen aus sozialen Schichten mit hoher Arbeitslosigkeit und geringerer Bildung gehen seltener wählen und haben darum unverhältnismäßig wenig Einfluss auf das Wahlergebnis. Das ergibt eine Analyse der letzten Bundestagswahl.

Es braucht also eigreen-texturenen Plan, diese Menschen zu erreichen. Ein eigenes Programm, das genau auf diese Schichten zugeschnitten ist.  In einer eigenen Sprache. Und nur mit mehr Präsenz zu lösen. Mit grünen Programmen, da wo grün regiert, die die Menschen in den Genuss der Vorteile grüner Politik kommen lässt.  Einen Bauplan, mit Einzelbausteinen, die genau auf diese Zielgruppe zugeschnitten ist. Auf kommunaler Ebene mit bspw. Beratungen zum Energiesparen, wie es bspw. ein grüner Bürgermeister in Karlsruhe initiiert hat. Auf Landesebene mit Förderprogrammen – nicht für Dämmungen, aber bspw. hat Baden-Württemberg mit der Inklusionsprämie ein Fördermittel aufgelegt, mit der jeder Arbeitgeber eine Prämie erhält, der einen Arbeitsplatz zum ersten Mal mit einem Menschen besetzt, der eine Einschränkung hat, die zu einem „Behindertenausweis“ führt – und der älter als 50 Jahre ist (ist SPD-Maßnahme, aber das kann man sich ja aneignen). Auf Bundesebene mit der Durchsetzung klarer sozialer Programmatik, die die, die in prekären Verhältnissen leben, ernst nimmt und versucht, ihnen die Würde zurückzugeben – die sie auf manchen Jobcentern verlieren.

Und man wird dahin gehen müssen. Haustürwahlkampf nicht da, wo es Spaß macht – sondern wo es weh tun kann. Wo man keine einfachen Debatten führen kann, sondern harte Auseinandersetzungen vorhersehbar sind. Mit Infoständen in den Stadtteilen, wo diese Menschen leben – nicht beim Wochenmarkt, wo die besser situierten hinkommen, die sich das leisten können.

Und das ist nicht nur nötig, weil dort viele Wählerpotential liegt, sondern vor allem daran, weil diese Menschen sich nicht nur von der Politik abgewandt haben, sondern auch vom Staat. Es ist eine Frage der Demokratie. Die frustriert sind über ein Land, das mehr und mehr zum Suppenküchenstaat verkommt – mit Tafeln und Suppenküchen und Second-Hand-Läden, um die Not erträglicher zu machen. Hier gilt es anzusetzen – in allen Bereichen. Eine Sozialpolitik, die ihren Namen verdient. Das Ende der Sanktionen bei Hartz IV, eine Veränderung bei der Ausschreibung von Arbeitsmarktmaßnahmen hin zu Qualität und nicht billigster Preis. Gelingt das verschaffen wir nicht nur denen eine Stimme, die sich abwenden – wir beenden auch die Übermacht derer, die die finanziellen Mittel haben, den Staat nach ihrer Façon zu gestalten. Wir entmachten die Lobbies – wenn wir uns dann in Verantwortung auch daran halten. Das ist der grüne Weg, den ich vor mir sehe. Da ist grüne Eigenständigkeit. Nicht nur „Energiewende“.

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Tim

Hallo Jörg,
ich gebe dir vollkommen recht, was das Thema „Frage der Demokratie“ anbelangt. Deshalb muss man auch immer prüfen, welche Beteiligungsformen und -formate welchen gesellschaftlichen Gruppen zugute kommen. Leider sieht es nämlich abseits von Wahlen noch krasser aus, was die Nichtrepräsentation bestimmter Teile der Gesellschaft anbelangt.
Was aber die Frage des Wählerpotentials anbelangt: Die SPD macht in solchen Gebieten schon seit Jahren verstärkt Wahlkampf, auch mit Haustüraktionen. Ohne großen Erfolg, wenn man sich die Wahlbeteiligungen anschaut. Ich mache seit Jahren immer schon gezielt in einem Stadtteil Wahlkampf, der ein super Potential an NichtwählerInnen hat – bislang ohne durchschlagenden Erfolg. Freue mich gerne über Tipps.