Gutmenschentum und die Wahrheit

Ich bin das, was man derzeit in den Kommentaren der Zeitungen und Magazine einen Gutmensch nennt. Ich glaube an das Gute im Menschen, möchte die Welt verbessern und glaube im Grund genommen an einen Rechtsstaat bzw. die rechtliche Durchsetzbarkeit gewisser Regeln. Ich wünsche mir den Weltfrieden. Meine Grundhaltung gegenüber anderen Menschen ist positiv.

Naiv bin ich jedoch nicht – insofern ist „Gutmensch“ als Kampfbegriff mir gegenüber auch nicht unbedingt korrekt. Ich weiß, dass auch in Deutschland des Recht gebeugt wird, Gerechtigkeit ein unerreichtes Ideal ist. Ich habe in einem bis heute bei meinen GRÜNEN nicht abgeschlossenen, schmerzhaften Diskussionsprozess lernen und einsehen müssen, dass es Menschen auf der Welt gibt, denen man nur mit der Waffe in der Hand entgegen treten kann. Obwohl ich beruflich Menschen aus der Arbeitslosigkeit in reguläre Arbeitsverhältnisse vermittle, so begenet mir doch ab und zu eineR , der/die alles tut, damit es zu keinem Arbeitsverhältnis kommt. Und ich bin mir natürlich bewusst, dass jemand, der aus einem anderen Land zu uns kommt, genausowenig nett und ehrlich ist (oder gar arbeitswilig) wie eineR meiner NachbarInnen. Um es mal so zu sagen: Arschlöcher gibt es überall.

Aber andererseits ist mein ideales Gesellschaftsbild eine multikulturelle Gesellschaft – für die ja ebenso abwertend der Begriff „Multikulti“ gefunden wurde – in der jede/r nach seinen/ihren Möglichkeiten all das werden kann, dass er oder sie möchte oder ihr oder ihm möglich ist. Ob derjenige Moslem, Atheist, Christ, Buddhist, Zeuge Jehovas ist oder an das fliegende Spaghettimonster glaubt, ist dabei völlig egal, genauso, wie es wurschd ist, welche Hautfarbe er oder sie hat, aus welchem Bundesland er oder sie stammt, welche Behinderung, welches Alter, selche sexuelle Orientierung und was man sich sonst noch so an individuellen Merkmalen denken kann.

Daher ist das, was ich in der Debatte um die kruden Theorien des Thilo Sarrazin wahrnehme, zwar nicht wirklich überraschend, aber doch ziemlich erschreckend. Mich erinnert – und das ist ja offensichtlich kein Zufall – die Debatte um Migration in ihrer Abwertung der betroffenen Personen leider an die Art und Weise, wie Sarrazin, Westerwelle, Merkel und viele andre, über diejenigen herziehen, die Sozialleistungen beziehen. (Merkel z. B. heute in Sachen Pflege). Oder grundsätzlich, wie mit Andersdenkenden und deren Meinung umgegangen wird.

Das Vorgehen erscheint mir dabei immer ähnlich: diskriminierende Thesen werden aufgestellt (Migranten, Sozialhilfe/Hartz IV-Empfänger), dabei wird verallgemeinert und pauschalisiert. Ist der Thesen aufstellende prominent genug, dann bekommt er recht einfach eine mediale Bühne. Denn in den Redaktionen des Spiegels, des Sterns, der FAZ, bei Anne Will und Frank Plasberg ist natürlich klar, was Quote schafft: Sarrazin, Missfelder, Hohmann, Möllemann….

Macht man dann deutlich, dass es eben nicht in Ordnung, ganze Bevölkerungsgruppen zu diskriminieren, dass Thesen falsch sind, das Herrenmenschentum nicht in Ordnung ist, dann füllen sich die Kommentarspalten mit den Broders und Matuschecks, die Leserforen mit Weiblein und Männlein, die davon reden, dass man doch wohl die Wahrheit sagen dürfe und dass diese Kritik, Empörung über die Diskriminierung die Meinungsfreiheit beschränke und überhaupt. Das geht einmal quer durch die Gesellschaft. Am Ende darf natürlich nicht die BILD fehlen, die noch immer meint, sie wäre „Volkes Stimme“.

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BILD-Titelseite vom 04.09.2010

Denn nicht die Differenzierung der Thesen steht dann im Vordergrund, sondern es soll und muss der Eindruck erweckt werden, es würde eine Meinung unterdrückt. Dass das Gegenteil der Fall ist, offensichtlich an Sarrazin, der ja sein Buch veröffentlichen darf, der Zugang zu Diskussionssendungen hat, dessen Buch vorab veröffentlicht wurde, dass wird ins Gegenteil verkehrt. Und viele Menschen springen drauf an. Und schaut man sich die Thesen an, die die BiLD da veröffentlicht, dann fragt man sich, auf dem Boden welchen Grundgesetzes deren Redakteure sich befinden. Man darf all die Dinge sagen, sie sind allgegenwärtig in den Kommentaren, in der Politik, an den Stammtischen, auf der Straße. Das ändert nichts daran, dass man genau diese Thesen kritisieren muss, weil sie zu undifferenziert sind, pauschal verächtlich machen. Es grenzt für mich an Volksverhetzung, den Eindruck zu erwecken, man dürfe z. B. nicht sagen, dass man sich nicht dafür entschuldigen müssen möchte, dass man einE DeutscheR ist. Es ist falsch, dass man keine Arbeit bekommt, wenn man keinen Beruf gelernt hat und es ist grundfalsch, dass sich „die Ausländer“ nur an uns anpassen müssen. Wer auch immer „wir“ sind.

Aber so erzeugt man Stimmungen im Land. Denn es ist ja tatsächlich nicht so, dass eine Debatte über die Integration nicht geführt würde!

Toleranz ist schwer. Und Toleranz muss weh tun, sonst ist es keine.Es ist einfach, sich an die zu gewöhnen, die so sind wie man selbst. Und es ist schwer, einzusehen, dass man selbst etwas tun muss, damit Menschen sich hier integrieren. Darüber hinaus kann es nicht sein, dass Wohnviertel so aus der Kontrolle des Staates gleiten, dass sich die Polizei nicht mehr durchsetzen kann. Das geht nicht. Es gibt hier Regeln und Gesetze, an die muss man sich halten. Es gibt keine Todesstrafe und es gibt Religionsfreiheit. Ehrenmorde sind nicht zu akzeptieren. Aber genauso hat der Staat eine Fürsorgepflicht. Dass in Strafgefängnissen manchmal keine Therapien angeboten werden, kann nicht sein. Dass Deutschkurse weniger gefödert werden und man nicht versucht, die Leute, die hierher kommen, dort abzuholen, wo sie sind, wenn sie nicht selbst kommen, geht auch nicht. Aber zur Religionsfreiheit gehört eben auch ein Ort, an dem man seine Religion ausüben kann. Was ist so schwer daran, zu erkennen, dass, näme man sich das Verbot der Ausübung der christlichen Religion in manchen arabischen Ländern als Maßstab, es keine Religionsfreiheit gäbe? Und was ist falsch daran, wenn sich Christen nicht mit radikalen Evangelikalen oder bombenwerfenden irischen Radikalen in einen Topf werfen lassen möchten?

Am Ende bleibt, dass wir alle Individualisten sind. Um positiv zu gestalten, müssen wir daran glauben, dass unser positiver Beitrag etwas positives bewegt. Können wir das nicht, dann ziehen wir uns zurück, tragen nichts mehr bei. Verlieren die Perspektive. Und daraus resultieren dann die Probleme – nicht nur – in der Integration, die wir heute haben. Es gibt welche, keine Frage. Doch lösen können wir sie nur, wenn wir einen positiven Weg finden, in dem alle zu ihrem Recht kommen oder Kompromisse mittragen, die sie nicht das Gesicht verlieren lassen. Das dauert länger, als „Kopftuch runter, Türken Raus“ – um einen ungeliebten Parteifreund zu zitieren (ja, es gibt sowas auch bei uns GRÜNEN). Aber es wird dazu führen, dass es mehr Özils, Podolskis, Schimanskis, Sarrazins und wie sie alle heißen geben wird, die selbstverständlich hier gerne Deutsche sind oder Europäer werden und die dann vielleicht auch mal solch krude Thesen über die, die es noch nicht sind, sagen dürfen – ganz im Sinne der Meinungsfreiheit.

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