ich bin ab sofort auch Religionsexperte

Cem Özdemir ist neuerdings Islamexperte. Keien Ahnung, wie er dazu kommt. In den  Jahren, in denen ich aktiv in der grünen Partei war und er wahrnehmbar war, ist er mir nie mit überaus kritischen Reden (geschrieben hat er meist weniger) zum Islam aufgefallen. Dass er türkischer Herkunft ist, macht ihn nicht zum Islamexperten. Ja, er ist ein großer Erdogangegner, aber wer mit ein bisschen Verstand ist das nicht? Macht ihn das zum Islamexperten? Und wo genau ist denn da die Schnittstelle?

Jedenfalls macht Herr Özdemir nun einen auf Islamexperten. Er hat zusammen mit Hamed Abdel-Samad, der so lustige Dinge sagt wie:

ohne uns auch zu sagen, wo er findet, dass Sarrazin mit seiner „Hetze„recht hat, eine Initiave gegründet, die einen säkularen Islam fordert – zumindest auf deutschem Boden.

Weiteres illustres Mitglied dieser Islamexpert*innen ist Seyran Ates, die mal folgendes sagte.

„Bei den Grünen begegnet man den meisten Kopftuchträgerinnen und VerteidigerInnen des Kopftuchs, den meisten Kulturrelativisten und Multikulturalisten“

An der Stelle fängt es an, eklig zu werden und man fragt sich: ist Özdemir von allen guten Geistern verlassen?

Aber nein, Özdemir ist, seit er kein Minister werden konnte,weil ihm Lindner die Tour vermasselt hat, ein wenig abgetaucht – das heißt, es sprechen weniger Leute mit ihm. Und im ZDF-Politbarometer kommt er gar nicht mehr vor, sondern Robert Habeck – was darauf schließen lässt, dass es gar nicht um ihn ging, sondern eher um den Grünenvorsitzenden an und für sich. Was tun, wenn man so eine unvollendete Politikkarriere hat, wo man doch gerade noch einer der besten Politiker war, den die Grünen aufzubieten hatten – und nun irgendwo auf dem Abstellgleis steht?

Man rutscht innerhalb der Grünen nach ganz rechts. Es gibt einen nicht kleinen Kreis innerhalb der Grünen, der offen islamkritisch bis islamophob eingestellt ist. Die ursprüngliche Gruppe „Säkulare Grüne“ war so organisiert und entsprechend zielgerichtet – ein Grund, warum ich sie damals verlassen habe. Aber es gibt noch immer radikal antimuslimische Personen dort. Konfrontiert war ich mit diesen Leuten zum ersten Mal Anfang der Nullerjahre, als wir die erste große Kopftuchdebatte führten. Unter dem Titel: der Islam ist per se gewalttätig, vor allem der muslimische Mann war manche muntere Diskussion zu führen, die nicht selten in persönlichen Anfeindungen endete, wenn man für das Selbstbestimmungsrecht muslimischer Frauen plädierte. Aber weiße Männer und vor allem weiße Frauen wissen oft besser, was andere, nichtweiße Frauen machen sollen.

Dieser Kreis, den ich neuerdings den Palmerflügel nenne, wird innerhalb der Grünen stärker – und hat nun mit Özdemir einen prominenten Lautsprecher. Islamkritik ist angesichts der Debatte um Migration und Integration ein Thema, das viel Aufmerksamkeit und Talkshow-Präsenz verspricht. Und damit wird es dann fatal.

Es gibt sicherlich einiges, was man am Islam kritisieren kann. Ich habe im Laufe meines Lebens viele Muslime kennen gelernt. Die meisten sind friedliche Bürger*innen, die den Islam mehr oder weniger leben. Einer meiner Mitarbeiter praktiziert den Islam – ich habe aus Rücksicht für ihn einen Gebetsraum schaffen lassen. Selbstverständlich finde ich. Wenn ein Christ den Raum auch zum beten nutzen möchte, müssten sich die beiden halt einigen, wer wann reingeht.

Die meisten Muslime leben den Islam das wie Christen, die an Ostern und Weihnachten in die Kirche gehen – und ansonsten Kirchensteuer bezahlen, weil man halt nicht austritt. Ich kenn auch unangenehme Menschen unter ihnen und ich hab auch den einen oder anderen mit komischem Frauenbild kennen gelernt und auch muslimische Frauen, deren Unterwürfigkeit kaum auszuhalten war. Aber andere Rollenverteilungen bricht man nicht von heute auf morgen auf. Und eine Reform des Islam erzwingt man nicht – sondern man gestaltet ihn von unten. Und das hat eigentlich nichts mit dem Islam zu tun – rückständige Frauenbilder findet man in allen Religionen, alle Bevölkerungsgruppen und -klassen.

Aber wieso der Fokus auf den Islam? Wieso nicht auf Religionen generell?

„Deutsche Muslime seien in der Pflicht, „den Bedenken der nichtmuslimischen Bevölkerung positiv entgegenzuwirken, nämlich durch die Entwicklung eines Islams, der mit den Menschenrechten vollumfänglich vereinbar ist“.“

Ich seh das so: Erstens mal gibt es im Islam so viele Strömungen wie im Christentum. Die alle über einen Kamm zu scheren,halte ich für verwerflich. Nun kritisieren Özdemir und seine rechte islamkritische Truppe ja die übergroße Präsenz von konservativen Islamverbänden in der Islamkonferenz. Nun, es ist so, dass ich vom Christentum auch nur überwiegend katholische und evangelische Neuigkeiten wahrnehme. Und die sind alles andere als modern – sondern konservativ.

Auch im Islam gibt es das – und ich denke, die sind so erfolgreich, wie die Kirchenreformierer. Wenig. Und radikale Strömungen gibt es natürlich auch unter Christen. Wieso diskutieren wir nicht über die Menschenrechte derjenigen, der als Zeuge Jehovas Bluttransfusionen für seine Kinder ablehnt?

Ihr seht, ich weiß da „ziemlich viel“ drüber. Also, so allgemein.  🙂 Bin ich jetzt Experte?

Was wir brauchen, anstatt antimuslimischen Rassismus durch Menschen wie Özdemir hoffähig zu machen, eine generelle Debatte über die Rolle, die Religion(en) und Religionsgemeinschaften in der Gesellschaft einnehmen. Ich muss nicht über DITIB spekulieren, wenn die Piusbrüder  sich ja auch überall breit machen – oder ich muss über beide diskutieren.

Ich hätte nicht nur gerne einen säkularen Islam – sondern auch einen säkularen Staat. Eine Trennung von Staat und Religionen, der den Mitgliedern ihre Freiheit lässt, ihren Glauben zu leben und zu praktizieren. Der ihnen keine Kleidervorschriften macht, sondern sie respektiert. Der Atheisten auf dieselbe Stufe stellt, ihnen denselben Raum und Einfluss ermöglicht – oder keinen für alle. Am liebsten den Gottesbezug aus allen Verfassungen und auch aus der Eidesformel. Oder eben auch „so war mir Allah helfe“ – oder das fliegende Spaghettimonster. Entweder alles – oder keines.

 

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