Manche Dinge brauchen Jahre und eines morgens sitzt man in einer Videokonferenz und irgendwo hinten im Kopf legt sich ein Schalter um und Dinge verbinden sich – und man fragt sich, warum man das Offensichtliche bislang nicht gesehen hat.
Um den Klimawandel zu bremsen und das 1,5°-Ziel zu erreichen, dass die Welt vereinbart hat, dürfen laut Daten des Weltklimarats IPCC ab Ende 2017 nur noch knapp 420 Gigatonnen (Gt) CO2 in die Atmosphäre abgegeben werden. Aktuell sind es noch 315 Gt. Wir blasen 1337 t CO2 pro Sekunde in die Luft. Um das 1,5° Ziel zu erreichen, bleiben noch rund 7,5 Jahre, damit sich die Erde um 2° erwärmt, bleiben 25,25 Jahre (und 1,065GT). Ein gewaltige Aufgabe. Eine Aufgabe, die sehr, sehr viele Umbrüche bedeutet. Fridays For Future hat das immer wieder formuliert und wie sich zeigt, hat keine deutsche Partei zur Bundestagswahl, die zur „Klimawahl“ deklariert werden sollte, eine programmatische Lösung für das Erreichen des 1,5°-Ziels angeboten.

Was bedeuten diese Umbrüche? Nehmen wir, weil es einfach ist, das Beispiel Auto. Das Umweltbundesamt schreibt:
Von 1990 bis 1999 stiegen die Emissionen an, weil Einsparungen durch eine emissionsarme Fahrzeugtechnik durch den weiterhin steigenden Kraftstoffverbrauch überkompensiert wurde. Erst in den Folgejahren erfolgte eine Trendwende die bis etwa zum Jahr 2012 anhielt. In den Jahren 2013 bis 2017 stiegen die Emissionen jedoch mit der Fahrleistung wieder an. In 2018 ist ein leichter Rückgang zum Vorjahr erkennbar, in 2019 stiegen die Emissionen jedoch wieder leicht. Im Jahr 2020 ist vor allem durch Sondereffekte (Coronapandemie) ein starker Rückgang der Emissionen zu sehen, trotzdem war der Verkehrssektor noch für fast 20 Prozent der Treibhausgasemissionen Deutschlands verantwortlich.
Gesellschaftsweit scheinen wir uns darauf geeignet zu haben, den Verbrenner durch Elektroautos zu ersetzen. Das führt dazu, dass weiterhin viele Autos zugelassen werden, Tendenz weiterhin steigend:
Um 1,1 Millionen Fahrzeuge erhöhte sich der Bestand im Vergleich zum Vorjahresstichtag und wies am 1. Januar 2021 rund 66,9 Millionen in Deutschland zugelassene Fahrzeuge auf (+1,6 %). Diese gliederten sich in rund 59,0 Millionen Kraftfahrzeuge (Kfz) und knapp 7,9 Millionen Kfz-Anhänger.
Mit 48.248.584 Einheiten und einem Plus von 1,1 Prozent bildeten die Personenkraftwagen (Pkw) erneut die anteilsstärkste Fahrzeugklasse.
Aber das ist nicht die Lösung – das zeigen die Emmisionswerte weiter oben. Natürlich wollen Unternehmen weiter existieren und tun alles dafür, dass es so ist und bleibt. Für’s Erste werden mehr Plugin-Hybride zugelassen, die hohe Verbräuche reduzieren. Fatal ist: viele Menschen, die zuvor Limousinen oder kleinere Fahrzeuge fuhren, ersetzen ihr Fahrzeug mit einem großen oder kleinen SUV – der dann genauso viel als Plugin-Hybrid verbraucht – nur halt mit Strom als zusätzlichem Antrieb. Also, es ist keine Lösung, alle Verbrennerautos mit Elektroautos oder SUV-Plugin-Hybriden zu ersetzen.
Schon der Ersatz von Verbrennern mit E-Autos wird Arbeitsplätze in der Autoindustrie, vor allem auch in der Zulieferindustrie, kosten. Ein aktueller Verbrennungsmotor benötigt mit Getriebe ca. 1.400 Teile. Ein Elektromotor nebst Batterien besteht nur aus rund 200 Komponenten. Diese 1200 Komponenten müssen also weniger produziert – und dann auch nicht eingebaut werden. E-Autos sind auch weniger wartungsintensiv. Auch in Werkstätten fallen Arbeitsplätze weg.
Ist man konsequent, muss gleichzeitig die Anzahl von PKWs reduziert werden, Carsharing in den Städten und größeren Gemeinden die Normalität werden, wenn man ein Auto benötigt – und natürlich der Ausbau des ÖPNV – kostengünstig und 24/7.
Das macht deutlich: jedem, der sich ein bisschen damit beschäftigt ist klar, dass sehr viele Arbeitsplätze in der Autoindustrie und im Autohandel wegfallen. Gängige Elektrofahrzeuge werden vermutlich auch bald nicht mehr in großen Showrooms ausgestellt werden – man bestellt sie im Internet oder direkt beim Verkäufer. Das heißt dann auch am Ende weniger kaufmännische Kräfte, weniger Fahrzeugüberführende, weniger Jobs um diese Autohäuser herum. Was gut ist für den Flächenverbrauch – Autohäuser benötigen große Ausstellungsflächen ist natürlich schlecht für Jobs. Das kann man wissen und wenn man in diesem Bereich arbeitet und mehr als 10 Jahre bis zur Rente hat – kann einem*r das schon Angst machen. Und das gilt natürlich für andere Arbeitsstellen auch – die Kompensation, dass andere Produkte auch andere Arbeitsstellen schaffen und soziale Komponenten wie radikale Arbeitszeitverkürzungen möglich sind, die sind für den*die Einzelnen zunächst einmal nicht sichtbar. Wie immer bei Strukturwandeln wird es aber am Ende auch Gewinner*innen und Verlierer*innen geben. Wer kein*e Verlierer*in sein möchte setzt sich dann lieber dafür ein, dass alles so bleibt wie es ist – und verliert dabei natürlich das große Ganze, den Klimawandel aus den Augen. Menschlich und verständlich und vor allem auch nachvollziehbar.
Hinzu kommt natürlich das Bewusstsein über Automatisierung in allen Bereichen. Schon 2013 habe ich einen Artikel darüber geschrieben, was aus meiner Sicht nötig wäre:
Was folgt daraus? Wir brauchen eine Bildungspolitik, die dem gerecht wird. Die die Menschen heute schon mit der Technologie vertraut macht. Wer braucht Zehn-Finger-tippende Sekretär_innen, wenn die Spracherkennung das Tippen übernimmt? Wer braucht eine_n Buchhalter_in, wenn Einkauf und Versand automatisiert werden? Die Menschen besser ausbildet und Kinder nicht früh in Kategorien presst, sondern ihre individuellen Stärken herausfindet und zulässt, dass es Kinder gibt, die eben nicht gut rechnen, aber dafür gut konstruieren können – und in der Lage sind, mit einem Hilfsmittel gute Ergebnisse zustande bekommt.
Wir brauchen einen Arbeitsmarkt, der in der Lage ist, Arbeitnehmer_innen, die aufgrund von Automatisierung ihren Arbeitsplatz verlieren, eine Perspektive bieten kann. Wir brauchen eine sehr radikale Arbeitszeitverkürzung – und eine Steuerpolik, die einen Teil der Mehrgewinne auffängt und in entsprechende Ausgleiche investiert. Wir brauchen gesellschaftliche Aufgaben, die Menschen fordern und eine Demokratie, die in der Lage ist, Menschen mit mehr Zeit auch Raum für Engagement und Einfluss zu geben.
Wir brauchen Politiker_innen, die in der Lage sind, in langen Linien zu denken. Ein Zukunftsministerium, das Entwicklungen früh erkennt und entsprechend in den Ressorts Pläne entwickelt, wie man dem gerecht wird. Eine Datensicherheitspolitik, die die Menschen lehrt, in einer Informationsgesellschaft die eigenen Daten zu schützen und Angriffe erkennt.
Und ja, wir brauchen auch ein Bedingungsloses Grundeinkommen. Menschen, die ein Einkommen benötigen, eine Wohnung, die vielleicht sogar einen Urlaub wollen, benötigen eine Perspektive. Es gibt sehr viele unterschiedliche Modelle für ein solches Grundeinkommen. Es muss sozial gerecht sein, es kann begleitet werden von Mietendeckeln, von dem Verbot von Stromsperren und so weiter. Auch müssen Sonderbedarfe weiterhin gedeckt werden sowie Instrumente der Arbeitsmarktpolitik erhalten bleiben. Denn so wie Schule mehr ist als ein Lernort, so ist ein Arbeitsplatz mehr als Broterwerb. Nur ein BGE wird mehr Menschen dazu bringen, Abstiegsängste aufgrund des nötigen Strukturwandels zu überwinden und neue Perspektiven entwickeln. Sicher zu sein, dass man weder abgehängt noch finanziell ruiniert wird, schafft die Möglichkeiten, dem zuzustimmen, was man aus eigenen Ängsten ganz profaner Natur bislang ablehnt.
Und selbstverständlich braucht es dann gesellschaftliche Angebote zur Erfüllung dessen, was jede*r werden kann. Eine vom Arbeitszwang befreite Gesellschaft, der mehr geboten wird als ein weiterer Streamingdienst mit noch mehr Unterhaltung, mehr als einen weiteren Freizeitpark, mehr als einen weiteren Urlaubsort.
Aber nur wenn man beides zusammen denkt, dann kann beides gelingen. Eine Gesellschaft, die sich auf den Weg macht, die großen Krisen dieser Zeit zu überwinden. Sozial und klimagerecht. Ob es dafür eine Partei gibt? Mit Protesten gegen den Klimawandel ist es nicht getan. Sie ersticken in Ritualen – was hilft die x-te Klimademo, der x-te Klimastreik (der dann für den Schulfrieden nach Schulende stattfindet?) Ohne eine Perspektive in einer strukturgewandelten Welt werden wir nicht genügend Menschen erreichen, die mitgehen. „System Change, not Climate Change“ bedeutet weitaus mehr als nur den Klimawandel zu bekämpfen. Es bedeutet, eine Veränderung einzuleiten, die allumfassend ist. Und ich glaube, das hat selbst Fridays For Future nicht begriffen. Es gibt keinen ökologischen Kapitalismus. Denn es reicht nicht zu sagen, dass ein Arbeitsplatz in einer kaputten Umwelt nicht mehr da ist. Dieser Blick in die Zukunft ist zu vielen Leuten verwehrt, kann man sich nicht vorstellen, will man sich nicht vorstellen. Es soll so bleiben wie es ist und darf sich höchstens langsam verändern.
Der übergroße Teil der Gesellschaft kann sich keine neuen E-Autos leisten. Auch keine Photovoltaikanlagen. Die Aufgabe muss der Staat lösen. Und alles dafür tun, dass dies möglich und bezahlbar ist.