Sind „Ausländer“ krimineller als Deutsche? Und was sind „Ausländer“ überhaupt?
Man trifft sie an allen Orten und sieht sie überall: Migranten. Und damit fängt das Problem schon an. Im Kopf verankert, gerade auch in meiner Generation, ist eine relativ normative Kohorte von Deutschen und Ausländern. 1972, als ich in die Schule kam, waren das überwiegend Italiener, türkische Kinder gab es noch relativ wenig, zumindest im beschaulichen Ettlingen. Wir hatten einen italienischen Mitschüler, Giuseppe, der kaum einen Akzent hatte, ein wenig wilder war als ich und ganz anders wohnte als wir. Sein Kinderzimmer habe ich nie gesehen, obwohl ich ein paar Mal bei ihm zu Besuch war. Ich kann mich nicht an seine Eltern erinnern – aber einmal, als ich dort war, hat er, als er aufs Klo musste, ins Waschbecken in der Küche gepinkelt. Das war schon was. Der Siebenjährige fragte sich, ob das Italiener öfter so machten und eine Zeitlang prägte das mit mein Bild von italienischen Jungs. Ansonsten „wusste“ man allerhand über die Ausländer. Seltener vom Erleben, sondern eher vom Hörensagen. Mit pubertierenden 13 Jahren gab ich kluge Sätze wie „türkische Mädchen sind sehr schön, aber da lässt man besser die Finger davon, sonst hat man gleich die ganze Sippe am Hals“. Harhar. Komisch, an was man sich erinnert. Mit 13 hatte ich in eine Klassenkameradin, die irgendwie türkischstämmig war – aber die sprach badisch und wenn sie eine Party feierte, gab es Pizza. Also irgendwie keine „richtige“ Türkin.
Die Unterscheidung war damals noch einfach – die sahen halt alle irgendwie „südländisch“ aus, dunkle Haare, dunkler Teint, dunkle Augen. Die Jungs waren tatsächlich oft aggressiver als das so in meinem wohlbehüteten Umfeld gewöhnt war, allerdings hatte ich so ab 11 Kontakte zu deutschstämmigen Menschen, die nicht wie ich auf dem Gymnasium waren. Manche waren auf der Hauptschule, andere kamen aus dem „Heim für schwer erziehbare Jungs“ – und so nach und nach erweiterte sich der Bezugsrahmen und ich lernte: im Grunde genommen sind alle Menschen und wenn man mit ihnen vernünftig spricht, sie einbezieht und sich einbeziehen lässt, hat man in aller Regel keinen Ärger. So bin ich groß geworden. Zwischen Gymnasium, später dann Realschule, Blasmusik und vielen, vielen Bierzelten mit Marschmusik, Fastnacht, Festen. Von meinem 8. bis zum 20. Lebensjahr habe ich aktiv Blasmusik gemacht, in einer Gruppe von rund 30 Kinder und Jugendlichen, einige aus einem schwierigen, sozialen Umfeld, aus einfachen Verhältnissen, wie man so sagte. Ich konnte erleben, wie der Verein und ein normales Miteinander, aus dem konsequent Alkohol, Schlägereien herausgehalten wurd und Umgangston und Benehmen „normalisiert“ wurde, ein Miteinander förderte – und ich konnte sehen, was passiert, wenn da jemand Alkohol reingoß. Ein Grund für mich bis heute, Kontrollverluste zu vermeiden. Ich habe nie Drogen genommen und Alkohol trinke ich in Maßen. Um zurück zum Thema zu kommen – ich habe „Ausländer“ nie als schlimmer erlebt als „Deutsche“.

Heute ist das alles ein wenig schwieriger – denn die südländisch aussehenden Menschen in diesem Land haben manchmal einen deutschen Pass, inzwischen leben hier viele Menschen in einem unsicheren Asylverfahren, die nicht wissen, was mit ihnen passieren wird. Roma vom Balkan und anderswo pendeln zwischen ihrer Heimat in Wellblechhütten und hiesigen Übergangswohnheimen hin und her – und sind auch im Alltag wahrnehmbar. Gruppen von Migranten kommen aus dem Elsass herüber, dazwischen internationale Geschäftsreisende und Einbrecherbanden aus Georgien oder sonstwo her, an Sperrmülltagen kreisen ungarische, tschechische, polnische und andere osteuropäische Lieferwagen durch die Städte und hinterher fehlen immer ein paar Fahrräder. Die Spätaussiedler haben viele Raum eingenommen – und irgendwie leben alle dauernd in Parallelgesellschaften.
So wie damals kann auch ich erkennen, dass sie sich manches Mal anders benehmen – sogar befremdlich, wie man so schön sagt. Das ist anders als damals. Damals gab es „uns“ – also irgendwie mittelschichtige Kinder, die „anderen“, das waren die vom sozialen Brennpunkt und die gingen auf die Hauptschule oder das „Brettergymnasium“ – und die Ausländer. Berührungspunkte gab es wenige – schließlich lebten sie oft genug noch in anderen Stadtteilen. Heute ist alles irgendwie vermischt – und die anderen sind alle, die nicht so aussehen wie „wir“.
Im Kopf festsitzend sind Klischees.
Mit diesen Klischees spielend, sie gnadenlos ausnutzend, Unterschiede zementierend anstatt sie aufzulösen, Lügen verbreitend ist seit dem Beginn von Migration vor allem das Klischee des „kriminellen Ausländers“ der konservative Deutsche, der gerne wieder ein „wir“ und „die anderen“ hätte. Damit er nicht neben dem Türken beim Metzger oder bei ALDI an der Kasse stehen muss oder auf dem Weg zur Arbeit mehr Russen und Kroaten trifft. ein Klischee, befeuert durch fehlende Fahrräder und vor allem dem immer wieder gerne verwendeten Klischee – die nehmen unsere Frauen, wenn sie sie nicht kriegen, vergewaltigen sie sie und ihre Frauen kriegen wir nicht – siehe oben (ich weiß schon, was ich da damals gesagt hab).
Sie klauen, sie schlägern, sie verkaufen Drogen, sie überfallen, sie vergewaltigen und wenn alles nicht mehr hilft, sind sie mindestens Terroristen.
Als wäre „der Deutsche“ von sich aus gesetzestreu – und alle anderen viel krimineller. Obiger Boris Palmer ist einer der Protagonisten aus dem ehemals linken Lager, der heute in der Tradition einer Vera Lengsfeld Parolen von sich gibt, die dann gerne von Rechtsaußen zitiert werden. Irgendwie scheint ihm aufgefallen zu sein, dass er in letzter Zeit übers Ziel hinausgeschossen ist.
Nur wer die erhöhte Kriminalitätsrate anerkennt und die tatsächlichen Einflussfaktoren benennt, kann richtige Lösungen finden. Dazu gehören Investition in Bildung und Integration genau so wie mehr Polizisten. Und die Erkenntnis, dass nur so viele Menschen im Land aufgenommen werden können, wie sinnvoll integrierbar sind. Sonst würde die Kriminalitätsrate durch Zuwanderung tatsächlich ansteigen. Dem müssen wir jetzt entgegen wirken.
So seine Charmeoffensive bei Facebook und Maischberger, im verzweifelten Versuch, seriös zu wirken, den Nimbus des Ausländerfeindes abzustreifen. Auch wenn er wie hier erneut à la CSU eine Obergrenze für Migration fordert und gleichzeitig noch Menschen sortieren möchte. Ich weiß, woran mich das erinnert. Und so wie er tun das viele andere in der Politik, vermeintlich vernünftig wird mit Statistik argumentiert und wenn etwas „herausgerechnet“ wird, dann immer nur die Diebesbande auf Durchreise (weswegen man gegen Schengen sein muss, also irgendwie Europa) und dann noch die Strafen gegen das Ausländerrecht. Übrig bleibt eine Gemengenlage, in denen „richtige“ Straftaten natürlich in höherer Anzahl von „Ausländern“, lieber noch „Asylanten“ begangen werden. Gleichzeitig fordert Palmer und andere, doch die Straftaten dieser „Ausländer“ mal statistisch genauer unter die Lupe zu nehmen und sich nicht zu weigern, das zu tun. Genau, Lügenpresse!EINSELF!!
Dabei weiß man doch eines ganz genau:
Das Anzeigeverhalten gegenüber ausländischen Straftätern ist höher. Die Polizei geht mit social profiling bspw. bei Kontrollen auf öffentlichen Plätzen vor. Migranten haben – gerade weil sie ihre Heimat oft genug nicht freiwilig verlassen haben – einen niedrigeren sozialen Status, Geldprobleme, Bankprobleme (wo kein freundlicher Filialleiter mal die Rückbuchungen unterbindet, weil er weiß, das Geld kommt in zwei Tagen), Integrationsprobleme. Wenn man den Faktor soziale Lage statistisch herausrechnet, also die Kriminalitätsrate von in Deutschland wohnhaften Ausländern und Inländern nur jeweils innerhalb derselben Schicht vergleicht, dann sind in Deutschland wohnhafte Ausländer sogar insgesamt weniger kriminell. Viele Migranten sind jung, männlich und leben in größeren Städten. Diese Gruppe ist auch unter Deutschen besonders auffällig. Mangelnde Integration, Sprachbarriere und geringeren Chancen auf dem Arbeitsmarkt – in letzter Zeit oft genug belegt durch Bewerbungsversuche mit gleicher Ausbildungs/Berufshistorie und unterschiedlichen Namen tun ihr übriges.
Lukas gegen Ahmet, Hakan gegen Tim: Wer wird den Ausbildungsplatz bekommen? Nein, keine neue Castingshow, sondern eine Studie, bei der es letztlich drei Verlierer gibt: Ahmet, Hakan – und die Gesellschaft.
Der „kriminelle Ausländer“ ist primär ein stereotypes und instrumentalisiertes Märchen, dem nur dadurch begegnet werden kann, wenn man die Integrationsanstrengungen verstärkt, Arbeitsplätze schafft, Wohnungen baut, soziale Umfelder mischt. Das kostet Geld. An dem hängt es am Ende immer.