„Als jemand, der selbst einmal an einer Depression litt, bin ich ziemlich unschlüssig, ob mir die Häme gefällt, die über Holger Apfel angesichts seines Burnouts ausgeschüttet wird. Ich kann das zwar verstehen, Apfel ist politisch schlicht ein Scheißkerl und niemand, mit ich auch nur ansatzweise etwas zu tun haben will, weder menschlich noch politisch – aber so verstehe ich Auseinandersetzungen grundsätzlich nicht – egal welcher Art. Wer am Boden liegt, auf den tritt man nicht mehr drauf. Ich verstehe auch Politik für sexuelle Freiheit nicht so, dass jemand, der seine Homosexualität nicht leben kann – in dem Fall aus selbst gewählten Zwängen – deshalb Ziel von noch dazu ätzendem Spott sein sollte. Egal wie es ist – die Politik Holger Apfels lehne ich aus tiefstem Herzen ab – aber ansonsten wünschte ich mir, dass in dieser Frage mehr nach dem Motto: „was du nicht willst, das man dir tut, das füg‘ auch keinem andren zu“ gehandelt würde – auch oder gerade bei Menschen wie Apfel. Denn wir sollten niemandem das Menschsein absprechen.“
hab ich heute bei Facebook geschrieben – und irgendwie finde ich, fehlt das in allen Berichten über ihn. Es ist die schwierigste Übung in der Auseinandersetzung. Apfel hat alles dafür getan, dass man ihn außerhalb des eigenen Lagers und der Naziszene nicht mögen kann. Die NPD-Plakate in diesem Wahlkampf sind unvergessen, die Tour durch Deutschland, sich auf vielen Plätzen der Antifa und aufgebrachten Bürgern zu stellen, um damit zu demonstrieren, „ihr könnt uns nicht verhindern“, machen ihn auch nicht symphatischer.
Aber auch Holger Apfel ist ein Mensch. Ein Mensch, für den alle Kapitel des Grundgesetzes gelten, von der unantastbaren Würde bis hin zum Recht auf körperliche Unversehrtheit. Er hat eine psychische Erkrankung zugegeben, darüber hinaus gibt es Gerüchte, dass er homo- mindestens bisexuell ist. Beides verkehren die Bild ins verkehrte – ein Nazi hat stark zu sein und heterosexuell. Homosexualität wird von der NPD bekämpft und Homosexuelle mit verbalem Unrat übergossen. Ich habe seinen Brief zu seinem Rücktritt gelesen – und wenn alle stimmt, was da drin steht, dann ist er psychisch krank. Und alles, was nun an Häme über ihn ausgeschüttet wird, ist verbale Gewalt, verschlimmert seine Situation. Ich bin niemand, der „wie du mir, so ich dir“ gut findet – obwohl ich das durchaus verstehen kann und ich solche Impulse ebenfalls kenne – und auch schon danach gehandelt habe. Nobody’s perfect. Aber in Ordnung ist es trotzdem nicht – und in der Geballtheit, mit (fast) ein ganzes Land und nahezu alle Medien nun über ihn herfallen – da fehlt die Stimme die sagt: „Stopp. Auch Holger Apfel hat ein Recht darauf, gesund zu werden.“ Danach kann man sich wieder mit ihm auseinandersetzen. So schwer das auch sein mag. Das ist der Maßstab, an dem ich gemessen werden möchte. Das das nicht seiner ist, ist mir wohl bewusst. Aber in Auseinandersetzungen bspw. um den Moscheebau, wenn es heißt: „aber in der Türkei oder in Saudi-Arabien, da darf man auch keine Kirchen bauen“ sage ich immer: Unrecht ist nicht mein Maßstab. Und das gilt nun auch in diesem Fall.