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Optimismus

Ein längeres Gespräch mit Bekannten am Rande einer Mahnwache gegen Quergida stimmt mich nach wie vor nachdenklich. „Jörg, es wäre gut, wenn du die Polizei nicht mehr loben würdest“.  Tja, denke ich – da haben sie wohl recht. Warum tu ich das nur?

Es schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Es gab eine Zeit in meinem Leben, da hat die Polizei keine wesentliche Rolle gespielt. Und solange ich Taxiunternehmer war, war ich bei Zechprellern über ihre Hilfe froh – wobei es auch da schräge Momente gab. Mit der Polizei, die in Wackersdorf CS-Gas versprüht hatte, mich in Gorleben weggetragen hatte, hatte das alles in der Zeit irgendwie nichts zu tun. Irgendwie unterscheide ich immer zwischen dem „Schutzpolizisten“ und den anderen. Denen, denen ich auf Demos begegne. Und immer denke ich – obwohl ich es besser weiß – dass sie dazu da sind, den Rechtsstaat zu schützen, ungeachtet dessen, der Hilfe benötigt. Und dass sie das auch tun.

Im Rahmen der unangemeldeten Spaziergänge der Quergida habe ich mehrfach versucht, die Polizei zu informieren, wenn Spaziergänge stattfanden. Ich habe versucht, an der Stelle, wo „Jagd“ auf einzelne Beamte stattfand, solidarisch zu sein – weil ich es falsch fand. Ich versuche, gerade als Versammlungsleiter, so gut wie möglich zu kooperieren. In meinen guten Gedanken vom Gesetzeshüter ist kein Platz für die Bullen, denen ich immer wieder begegne. Ich sehe nicht, was ich sehe und ich bin offenbar nicht in der Lage, dass, was ich besser weiß´, auch in Handeln umzusetzen. Mein Optimismus, dass die Welt so ist, wie sie sein sollte, wenn man Staat und Politik glaubt, ist unerschütterlich. Auch wenn ich das Gegenteil erlebe – ich glaube offenbar daran. Und das, obwohl ich zuletzt  in 2,5 Jahren #NOKargida mehr als einmal erlebt habe, dass sogar unter dem Briefkopf des Polizeipräsidium gelogen wird. Ich vor Gericht erlebt habe, wie zwei Polizisten offensichtlich abgesprochen lügen, um eine Verurteilung zu erreichen und der Richter da mitgeht. Ich auf zahlreichen Demonstrationen erlebt habe, wie sie Nazis schützen und Antifas drangsalieren. Ich in meinem politischen Leben so oft von meinem naiven Glauben an Demokratie und Rechtsstaat auf die Schnauze gefallen bin. Zuletzt in Malsch, wo eine von mir angemeldete Versammlung von Quergiden gestört wurde, die Polizei auf Anruf hin nicht kam und am Ende so tat, als wäre sie dagewesen – erneut unter dem Briefkopf des Präsidiums.

Es ist Naivität und es ist gleichzeitig ein nahezu grenzenloser Optimismus. Gegenüber den Bekannten habe ich im Rahmen der Diskussion gesagt: „Ja, ich weiß das. Das ist mein Optimismus. Ein Optimismus, der mir vermutlich im Laufe der Jahre mein Leben gerettet hat.“

Ein Optimismus, der es mir erlaubt hat, viele Umbrüche in meinem Leben zu meistern. Selbst dieser Artikel ist optimistisch – weil ich mir zwar bewusst bin, dass Leute Inhalte daraus gegen mich wenden, sie nutzen, um mich persönlich anzugreifen und ich trotzdem finde, dass ich diesen Einblick geben kann – und vielleicht auch muss.

Ein bisschen was kann man in meiner Biografie ablesen. Ich habe mit 17 die Schule hingeschmissen und mich für eine Ausbildung im Lebensmitteleinzelhandel entschieden. Ich war jung, ich war rebellisch, diskussionsfreudig, engagiert, konnte gut mit Kindern – viele, die mich noch aus dieser Zeit kennen, beschreiben mich so. Das Wirtschaftsgymnasium, auf das man damals halt so ging nach meinem Umweg über die Realschule, erfüllte mich nicht. Rechnungswesen, BWL – ich wollte nicht lernen, nichts damit anfangen und konnte so auch nichts verstehen. Ein Wechsel aufs Technische Gymnasium mit meinen zwei „Linken“ Händen war nicht vorstellbar und wäre ich besser informiert gewesen damals oder wenn man mich beraten hätte, dann wäre ich vermutlich in der Sozialpädagogik gelandet.

So ging ich zum „Pfannkuch“, weil ich dort schon in meiner Freizeit nebenher arbeitete. Ich kannte den Job. Es war für mich „einfach“, es forderte mich körperlich und auch intellektuell. Ich bin ein „Mitdenker“ – und der Lebensmitteleinzelhandel von 1984 war auch ein anderer, als er es heute ist. Obst- und Gemüsetheken zu befüllen zum Beispiel waren kreative Aufgaben und wer das gut konnte und freundlich zu seinen Kund*innen war,   der hatte realen Einfluss auf den Umsatz der Filiale. Ich erinnere mich gut, dass, als ich Ende 1989 den Markt am Berliner Platz in Ettlingen als Marktleiter übernommen hatte – ich war 3,5 Monate nach Ende meiner verkürzten Ausbildung 1988  zum Marktleiter berufen worden – dort der Umsatz im Frischebereich binnen einer Woche um 1000 DM stieg. Das war 1/30 des damaligen Wochenumsatzes der ganzen Filiale. In dieser Filiale war ich gelandet, nachdem ich mit 22 Jahren eine gerichtliche Auseinandersetzung mit meinem Arbeitgeber hatte. Mein Bezirksleiter unterstellte mir Diebstahl, weil ich Ordner mit nach Hause genommen hatte und er nur gesehen hatte, wie ich samstags Bananenkartons ins Auto geladen hatte (das ist die Kurzversion). Es gab einen Kampf um Job und Einkommen, ein Vergleich und damit dann auch Ruhe – ich konnte mich endlich „austoben“. 1990 ging ich – weil Familie und 60 bis 80 Stunden die Woche einfach nicht zu schultern waren.

Ich war erstaunt über das, was da über mich hereinbrach. Ich war ein guter Mitarbeiter, hatte 1987, als mein Ausbilder lange krank war, zusammen mit dem Filialleitungsassistenten die erste 1000m²-Filiale des Unternehmens über Wasser gehalten, durfte im 3. Lehrjahr schon Marktleitervertretungen machen. Ich konnte über den Tellerrand der eigenen Filiale hinaussehen und war engagiert. Mein Bezirksleiter aber, der konnte mich nicht leiden. Ich war Mitglied der Jugend- und Auszubildendenvertretung, dann sogar ihr Vorsitzender – und auch das trug ich in „meine“ Filiale und versuchte, Ausbeutung und Gewerkschaftsarbeit zu vereinbaren. Das gefiel ihm nicht und auch nicht, dass ich natürlich an den JAV-Sitzungen teilnahm und dann in der Filiale fehlte. Da er wenig an der Arbeit kritteln konnte, suchte er den Weg der Verleumdung, hielt mich mit Personal knapp. Ich konnte und wollte das gar nicht glauben. Ich konnte und wollte auch nicht glauben, dass ich am Ende vors Arbeitsgericht mit ihnen musste. Ich liebte den Laden, ich liebte die Arbeit. Warum wollte man mir also Böses? Weil ich meine Klappe nicht hielt, nicht bedingungslos tat, was man mir sagte, eigene Ideen hatte, mich darum kümmerte, die Ausbildung in diesem Unternehmen für alle besser zu machen und so die Arbeit der Bezirksleiter schwieriger, die oft Auszubildende als günstige Vollzeitarbeitskräfte auszunutzen versuchten. Versetzungen in andere Filialen schon im 1. Lehrjahr, weil Personalnot herrschte. Keine Freistellungen nach der Schule. Keine Unterstützung in der Ausbildung. Und so weiter. Daran arbeitete ich mit dem damaligen Personalleiter und ich gab halt auch keine Ruhe, bis es dann endlich in Papier gegossen war. Auf die Idee, dass dies persönliche Auswirkungen auf meine Arbeit als Marktleiter hätte – auf die kam ich erst spät. Und trotzdem glaubte ich, dass es nicht nur richtig war, sondern der Streit nur ein Missverständnis war – obwohl man mir damals einen der besten Rechtsanwälte im Verfahren entgegen setzte. Man wollte mich loshaben. Ich verzweifelte nicht – unbeirrbar war meine Lust, dort weiter zu arbeiten. Ich war immer sicher, dass ich gewinnen würde – der Druck, der auf mir lastete mit einer drohenden Gehaltskürzung um 1600 DM und was das fürs Familienleben bedeuten würde, war da – aber ich war sicher, das alles gut werden würde. Es wäre so einfach gewesen, zu kündigen und als Filialleiter zu einem Mitbewerber zu gehen – Kaiser’s, Spar, Edeka. Nein, das war überhaupt nicht im Plan. Ich wurde verkannt und das würden sie verstehen, mein Handeln sie überzeugen. Nein, so war es nicht – aber trotzdem glaubte ich: am Ende würde alles gut werden. Das wurde es – allerdings brauchte es ein Gericht dazu. Der Vergleich war ein Sieg.

Trennung in erster Ehe mit 29 Jahren und vier Kindern. Was macht das mit einem? Es war ein Prozess. Ein Prozess, der mir abverlangte, zu mir zu stehen. Den Mut nicht zu verlieren, einen guten Weg zu finden, mit der Situation zu leben, den Kontakt zu den Kindern zu erhalten. Die Balance neu zu finden. Parallel dazu mit Ende 20 ein Unternehmen gegründet, viel Einsatz, gekämpft und hoch verloren. Der stärkste Einschnitt neben der Trennung und Scheidung. Ein Unternehmen ist fast wie ein Kind – man beschäftigt sich nahezu rund um die Uhr damit, vor allem, wenn man einen 24/7-Dienst hat. Heute kann ich die Fehler erkennen, die ich damals gemacht habe. Der größte war, zu glauben, dass man alles alleine schaffen kann. Kann man nicht, muss man nicht. Sich Hilfe zu holen, ist eine Stärke, keine Schwäche.

Ich stand vor dem beruflichen Nichts. Mit 31 Jahren. Hatte Schulden. Der erste Weg war – weg von allem. Ich zog nach Münster, zu einem Freund und versank in den damals neuen Onlinewelten. Die Not war da – aber ich deckte sie zu. Nach 10 Wochen war klar, dass das alles nicht funktionierte. Nicht in der WG, nicht mit dem wegtauchen, nicht mit dem Kampf gegen Kinderpornografie im Internet (der mich trotzdem noch eine Weile begleitete) als Ersatz. Mit letzter Kraft ging ich zurück, durfte wieder bei meiner damaligen Freundin und heutigen Ehefrau einziehen.  Stürzte in die Depression. 4 Wochen lang lebte ich zwischen Couch und Fernsehen, war kaum zu etwas fähig. Dann wurde mir klar, dass ich irgendwie wieder funktionieren musste – bewarb mich bei AOL und zog nach Saarbrücken. Wurde Call-Agent, kam ins neu geschaffene Member-Save-Team – die Kündigungshotline. Ich erfand mich neu. Verband Erlerntes mit Neuem. Der Verkäufer, der gut mit allen konnte, verbunden mit dem eigenen Lieblings-Online-Dienst. Denn ich lebte ja auch in AOL. Mit der Zeit schaffte ich es, meine Rechnungen zu sortieren, ich schaffte es, ein Insolvenzverfahren einzuleiten, stellte mich meiner finanziellen Situation, verursachte nochmal Chaos im Privatleben, fand aber die Kraft, das wieder in Ordnung zu bringen, fand im Schichtdienst an der Hotline mit regelmäßigen Einkünften wieder zur Ruhe und zu meiner Mitte – und blickte wieder einigermaßen optimistisch in die Zukunft. Mein Führerschein wurde eingezogen – Spätfolgen des Taxiunternehmens – aber auch das schaffte ich nun, ging damit um, sorgte dafür, dass ich schnell zur MPU kam und hatte ihn dann bald wieder. Der Blick nach vorne half. Ich hatte die Kontrolle über mein Leben wieder gefunden.

Ich beschloss, eine Umschulung zu machen, weil mir klar war, dass eine Zukunft im Callcenter nicht die meine war – und zog zurück nach Ettlingen. Zwei Monate Einblick bei walter telemarketing machten mir auch klar, was ich nicht wollte – auch wenn ich es konnte. Ich wurde IT-Kaufmann, fand in der Ausbildung einen Nebenjob in einem kleinen Unternehmen, das Großkommunikationsserver baute und damals die Jahr-2000-Hotline der Bundesregierung betrieb. Dort konnte ich meine Erfahrung aus AOL einbringen – und wurde schnell Stellvertreter des Callcenterleiters. Der Betrieb übernahm mich ins Praktikum, beschäftigte mich Ende der Ausbildung weiter und musste mich aufgrund finanzieller Probleme entlassen. Völlig neue Welten hatte ich kennen gelernt, ich war in Verhandlungen mit dem Telekomvorstand dabei, machte Datenflusspläne für eine Hotline der Arbeitsagentur, half, eine Spracherkennungssoftware zu trainieren und so weiter. Ich trug Anzug, kurze Haare, Hemden bei der Arbeit. Die Entlassung war ein Schock – aber ich hatte Glück und fand binnen 4 Wochen eine neue Stelle. Wieder musste ich Erlerntes mit Neuem verbinden – ich, der Mann mit den zwei linken Händen, betreute in der technischen Hotline eine Schreinersoftware mit Schnittstellen zu automatischen Sägen und kaufmännischem Teil. Ich lernte ein bisschen programmieren, lernte, einen Unixrechner zu bedienen, lernte SQL und trotz meiner Einschränkungen im 2D/3D-Sehen eine CAD-Software zu betreuen. Dann wieder Entlassung, wieder finanzielle Probleme des Arbeitgebers, die letzten, die kamen, mussten gehen. Wir hatten gerade das Reihenhaus in Malsch gekauft. Wieder fand ich einen Job – aber dieses Mal war es nicht gut. Ich war Ende 30, hatte 3 Kinder auf der Steuerkarte – das passte schon so gut wie nicht mehr in junge Teams bei IT-Dienstleistern.

Ich wollte Lehrer werden, fand einen Weg – und kam mit dem System nicht klar. Es war zu eng, es war nicht auf Kreativität ausgelegt, zumindest keiner individuellen und nun zerriss, angesichts der Tatsache, dass alle erlernten Strategien nicht mehr weiter halfen, zum zweiten Mal meine Kraft. Ich verlor die Kontrolle, stürzte in eine Depression. Und fand wieder heraus.

In den nächsten Jahren gelang es mir, mich den Situationen wieder wie gewohnt anzupassen. Nicht aufzugeben. Mich neu zu erfinden. War bereit, mich umzustellen, Dinge anders zu machen, mir Dinge anzueignen. Wir bekamen zwei weitere Kinder, ich ließ mich nochmal ein. Es ging alles, weil ich nicht aufgab, weil ich die Kraft fand, auch durch den Rückhalt meiner Frau, das Beste aus den Situationen zu machen. Kurze depressive Phasen konnte ich schnell überwinden, es half der Job, die parallele Ausbildung. Ich fand in mir die Kraft, weiter zu machen, behielt die Kontrolle. Schaute nach vorne.

Was mir auch blieb, war der Glaube an „das Gute im Menschen“. Ja, es gab Enttäuschungen. Viele sogar. Im persönlichen Bereich, im beruflichen Bereich, im politischen Bereich. Freundschaften waren schwierig für mich nach all dem, was nach der Trennung und Scheidung geschehen war. Andere Freund*innen verlor ich an die AfD bzw die Flüchtlingsfeinde, aktuell wieder einige an die Querdenker*innen. Ich glaube aber, egal wie es ist, dass wenn jemand freundlich zu mir ist, wenn ich freundlich zu anderen bin, dass sie es auch gut mit mir meinen. Ich meine es immer gut – mit Allen. Ich hab mich 2,5 Stunden mit Güzey Israel auf dem Marktplatz unterhalten, wollte ihre Motive verstehen, hab auch einiges verstanden, habe versucht, ihr den einen oder anderen Gedanken nahe zu bringen – Ihre Antwort darauf am Ende war dann allerdings erwartbar. Das ist ein Beispiel dafür, wie ich denke, wie ich fühle. Ich verwechsle oft Interesse, Sympathie mit Zusammenarbeit, denke, dass wenn mit jemandem lange zusammen arbeite, privat, politisch, beruflich, dass auch Interesse an der eigenen Person besteht – so wie ich ja Interesse an der anderen Person habe – und wurde oft enttäuscht. Denke, wenn ich auf jemanden zugehen, ehrlich bin – dass das Gegenüber zumindest fair bleibt. Stimmt ja nicht. Weiß ich. Und trotzdem will ich nicht davon lassen.

Es trifft mich heute allerdings kaum noch wenn es anders kommt als ich es erwarte. Es geschieht immer und immer wieder. Gerade, wer politisch aktiv ist, kommt immer wieder in die Versuchung, Leuten zu vertrauen – die einem kalt lächelnd am Ende das Messer zwischen die Rippen jagen. Auch da haben mich die Folgen meiner Entgleisung vor 6 Jahren viel gelehrt. Ich bin loyal und ich denke immer, dass andere das auch sind. Und wenn ich es nicht mehr sein kann – dann erkläre ich mich. Ich bin loyal auf allen Ebenen. Wer nett ist zu mir, zu dem bin ich es auch. Auch wenn ich mir denken könnte, dass es strategisch ist. Wenn ich wo Kunde bin, dann bleibe ich dort. Bis ich enttäuscht werde – dann komm ich aber dann auch nicht mehr. Wenn ich Kontakte beende, dann beende ich sie. Wer sie mit mir beendet, hat allerdings immer eine Chance.

Und so missverstehe ich natürlich vielerlei. Auch, um zum Anfang und zu diesem Gespräch am Rande der Mahnwache zurückzukommen, die professionelle Freundlichkeit der Polizei, mein Anspruch an den Rechtsstaat, der so oft enttäuscht wurde und von dem ich immer wieder glauben werde, dass die Exekutive dazu da ist, ihn objektiv durchzusetzen. Ich glaube an parlamentarische Demokratie, obwohl ich Partei- und Regierungspolitik kenne und um Zwänge – echt und künstlich geschaffene – weiß. Ich bin jedes mal auf ein neues bereit, zu glauben und zu vertrauen. Ich bin nicht bereit, meinen Zynismus – den es ja gibt – zu viel Raum zu geben. Ich mag Menschen und ich mag gerne gemocht werden. Wenn es anders ist – dann ist das halt so. Verstehen kann ich es nicht immer – aber mein Optimismus sorgt auch dafür, dass ich mich mit manchen Dingen nicht aufhalte. Außer in einem Fall, wo ich Jahr für Jahr eine Mail schreibe, die nie beantwortet werden wird. Jedes Mal denke ich: nun muss doch endlich genug Zeit vergangen sein. Ist es für die andere Seite offenbar nicht.

Ich mache mich damit verletzlich. Aber ich habe gleichzeitig dicke Mauern, die Verletzungen nur noch bedingt zulassen. Ich kann mit persönlichen Angriffen gut umgehen – ich weiß, dass ich nur Projektionsfläche bin, wenn ich mich exponiere. Ich kann nicht anders sein, als ich bin. Ein naiver Mann Ende 50, der glauben und vertrauen möchte. Aber halt auch einer, der gelernt hat, damit umzugehen, wenn dieser Glaube und das Vertrauen enttäuscht werden. Ich komme da nicht aus meiner Haut.

Ja, wir leben in einem unmenschlichen, kapitalistischen System, das uns alle Tag für Tag zwingt, uns und andere auszubeuten. Wir leben in einer Demokratie, die vor allem Kapitalinteressen verpflichtet ist – und nicht den Menschen, die in ihr wählt. Wir leben in einem System, in dem die Ordnungskräfte einseitig entscheiden, sich selbst durch Unrecht befreien von Schuld. Das Linke wie mich verfolgt und Rechte schützt.  Wir leben in einem System, das Reichen mehr Recht zugesteht als Ärmeren – alleine schon, weil sich nicht jede*r dieselben Anwälte leisten kann. Wir leben in einem System, das Zusammenhalt verdächtigt. Und wir leben in einem System, das uns Tag für Tag etwas vorlügt, in dem Marketing Politik ersetzt hat.

Und trotzdem will ich glauben, will ich vertrauen, werde ich beides weiterhin tun. Ich kann nicht anders. Und hoffentlich bleibt es so. Denn wenn ich das nicht mehr kann – was bliebe mir dann noch als Handlungsoption?

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Ralf

Hi Jörg, ich habe nach „Pforzheim für Aufklärung“ gegoogelt (wollte wissen, wer und was das ist) und dein Blog ist der erste Treffer hierfür, so habe ich Dich gefunden und mich ein bisschen auf der Seite und auf deinem Twitter-Profil umgeschaut. Der interessanteste Blog-Artikel ist der von heute, in dem du deine Lebensgeschichte beschreibst.
Vieles kann ich nicht beurteilen, da ich mich in den tiefen der Materie nicht auskenne und zudem über 20 Jahre jünger bin als Du, d.h. oftmals fehlt es mir schlicht an Erfahrung. Wozu ich gerne einen Kommentar abgeben würde ist:
„Ja, es gab Enttäuschungen. Viele sogar. Im persönlichen Bereich, im beruflichen Bereich, im politischen Bereich. Freundschaften waren schwierig für mich nach all dem, was nach der Trennung und Scheidung geschehen war. Andere Freund*innen verlor ich an die AfD bzw die Flüchtlingsfeinde, aktuell wieder einige an die Querdenker*innen.“…“Ich verwechsle oft Interesse, Sympathie mit Zusammenarbeit, denke, dass wenn mit jemandem lange zusammen arbeite, privat, politisch, beruflich, dass auch Interesse an der eigenen Person besteht – so wie ich ja Interesse an der anderen Person habe – und wurde oft enttäuscht.“
Das mit gute Zusammenarbeit vs Sympathie habe ich ebenso erlebt, mehrmals dachte ich, dass man eigentlich ein Stück weit befreundet sei, aber letztendlich war es doch nur eine gute Zusammenarbeit. Inzwischen weiß ich das besser einzuschätzen.
Ansonsten ist deine politische Einstellung ja sehr eindeutig, um es freundlich zu formulieren. Oder anders gesagt: Du ziehst sehr viele rote Linien. Allein die letzten 10 Jahre gab es ja viele politische Großthemen, u.a.: 2011 Fukushima, Griechenlandrettung, Flüchtlingskrise, Corona. Über die ersten zwei Themen wurde zwar ordentlich diskutiert, aber es ging meiner Meinung nach kein Riß durchs Land. 2015ff war schon extrem, wobei ich es immer nicht verstehen konnte, wenn man irgendwo hörte, dass es innerhalb der Familie oder im Freundeskreis Zoff deshalb gäbe. Bei Corona ähnlich, da lösen sich langjährige Bands auf, Familien und Freundeskreise zerbrechen wegen diesem einem Thema. Kann ich nicht verstehen, man kann doch unterschiedlicher Ansicht in einer Sache sein, ohne gleich die Freundesbeziehung zu beenden. Der eine ist BVB-Fan, der andere Bayern-Fan, so what? Du schreibst, dass du Leute an die AfD bzw. Querdenker verloren hast. Vielleicht ist es aber auch andersrum, die Leute haben Dich verloren? Ihr habt immerhin gemein, dass ihr euch für Politik interessiert. Ist es das wirklich wert wegen einer unterschiedlichen Ansicht in einem einzigen Thema die Freundschaft zu beenden? Wenn man dein Internet-Auftritt anschaut ist das alles ziemlich eindeutig: Wer nicht meiner Meinung ist, ist mein Feind. Null Kompromiß. Platz für Freundschaften gibt es dann nur im eigenen (aufgrund der vielen roten Linien ziemlich kleinen) politischen Spektrum. Und dann wiederum besteht die Gefahr, dass es nicht um Freundschaft / Sympathie, sondern gute Zusammenarbeit geht. Du hast so viele Facetten in deinem Leben erlebt, so viele Interessen, so viele spannende Geschichten zu erzählen, ist es wirklich notwendig, direkt pauschal ganze Gruppen als rotes Tuch zu betrachten? Um deine zwei Beispiele (AfD, Querdenker) zu nehmen: Angenommen, auf einem normalen Strassenfest kommst du am Bierstand mit jemand ins Plaudern, ihr versteht euch prächtig, tauscht euch über das Leben aus (Politik ist erstmal kein Thema), trinkt 2-3 Bier zusammen, seid einfach auf einer Wellenlänge. Nach 2h, kurz vor dem Verabschieden sagt der Gegenüber, dass er die Querdenken-Bewegung interessant findet / in der AfD politisch aktiv ist. Jede Wette, damit ist der Kontakt für Dich direkt gestorben. Gehört ja ins feindliche Lager.
Lange Rede, kurzer Sinn: Ich denke, dass es mit Freundschaften für Dich schwierig ist liegt zu einem großen Teil an deinen sehr eindeutigen politischen Ansichten, die dem Anschein nach sehr wenig Spielraum bieten.