Ralf Fücks schreibt

offene Briefe. An Frau Käßmann von der evangelischen Kirche. Aber der Reihe nach.

Margot Käßmann, als Ratsvorsitzende der evangelischen Kirche in Deutschland, hat entdeckt, dass in Afghanistan Krieg herrscht und fordert einen schnellen Abzug der Bundeswehr. Das ist so löblich wie unspezifisch.

„Es kann nur darum gehen, zu fragen, wie wir einen geordneten Rückzug antreten und wie eine zivile Lösungsstrategie gefunden werden kann.“

Und verweist darauf, dass Deutschland drittgrößter Rüstungsexporteur ist. Gleichzeitig lehnt sie einen Abzug der Militärseelsorger ab – mit der ältesten Ausrede, mit der die Kirche schon immer ihre Teilnahme an Kriegen gerechtfertigt hat: man begleite ja Menschen. Naja, Frau Käßmann, das können Psychologen besser. Aber da ich ja unter anderem genau wegen solcher Heiligung des Krieges, diese Doppelmoral und dem daraus resultierenden Glaubensverlust aus der Kirche ausgetreten bin, geht mich das ja eigentlich nichts (mehr) an. Aber sei’s drum: ich freue mich, dass die evangelische Kirche ebenfalls beginnt, ihren eigenen Abzug aus Afghanistan zu fordern. (was mich daran erinnert, dass es da ja noch Katrin Göring-Eckart in der evangelischen Kirche gibt, gleichzeitigVizepräsidention des deutschen Bundestages und, hier relevant: Präses der Synode der evangelischen Kirche. Von ihr habe ich zuletzt zu Afghanistan gehört, dass manch doch bitte an die „responsibility to protect“ denken müsse – die Verantwortung zu schützen)

Jaja, die Responsibility to Protect. Die Bundeswehr als Mitglied der allmächtigen Weltpolizei, angeführt von Bruder Obama, dem Guten. Das meint auch Ralf Fücks. Er hängt immer noch dem Glauben an, mit dem die rot-grünen MdBs 2001 die grüne Partei in ihre größte Zerreisprobe geführt haben: ziviler Aufbau, Vertreibung der Taliban, Befreiung der geknechteten Frauen und das Bauen von Schulen und Bohren von Brunnen. Das geht alles nicht ohne militärischen Schutz (meint ja auch Karin Göring-Eckart). Die Fachleute sprechen da zwar schon lange eine andere Sprache (das ist regelrecht babylonisch, scheint mir). Zuletzt im Wahlkampf ist mir Gila Borcherding begegnet, die viele Jahre in Afghanistan als Entwicklungshelferin verbracht hat. Sie sagt, eine Schule wird nur gebaut und stehen gelassen, wenn die Dorfbewohner das Grundstück vergeben und am Bau beteiligt sind. Dann verteidigen sie es auch – und die örtlichen Taliban dulden diese Schulen. Auch für Mädchen.

Während der nächste Kriegsschauplatz Jemen durch den Friedensnobelpreisträger Obama systematisch vorbereitet wird, wird es wohl Zeit, dass die Truppen aus Afghanistan abgezogen werden. Lieber Ralf Fücks, alle meine Befürchtungen, die ich 2001 hatte, als dieser Kriegseinsatz abgestimmt wurde, sind eingetreten. Schlimmer, mit dem tödlichen Luftangriff bei Kunduz, befohlen durch einen deutschen Oberst (der in meinen schlimmsten Träumen nicht verurteilt wird, sondern den neuen Orden bekommt) sind diese sogar übertroffen worden. Anstatt Milliarden für Waffen auszugeben, sollten wir diese Milliarden dafür ausgeben, die Ungerechtigkeiten auf dieser Welt zu beseitigen, den Hunger zu überwinden, Malaria auszurotten. Das ginge. Sicher, ein paar wird es immer geben, denen man nur mit der Waffe in der Hand entgegentreten kann. Das habe ich gelernt, unter Schmerzen. Aber wenn wir ihnen den Nachwuchs nehmen, durch Frieden in Nahost, mit der Rettung der Lebensgrundlagen in Somalia, der Akzeptanz anderer Kulturen in den arabischen Ländern, der Benennung der Unterdrückung in China mit der notwendigen Konsequenz, dem laut aufschreien statt zu schweigen zu Guantanamo, Abu Ghraib und der Folter durch die USA, usw., dann wird es irgendwann eine bessere Welt geben. Die ganze westliche Welt lebt heute an der Grenze zu Totalitarimus, ausgelöst durch den Schock der Amerikaner nach einem schrecklichen Anschlag. Was wir nicht brauchen, ist die Verteidigung der Freiheit am Hindukusch, sondern in Washington, in Peking, in Jerusalem und in Berlin. Und wir brauchen den Mut, nein zu sagen. Nein zum Krieg. Das ist schwer, ich weiß Ralf Fücks. Und das nicht nur an Weihnachten, Frau Käßmann.

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Sonja Rothweiler

Lieber Jörg,
In diesem Punkt ticken wir wirklich 100 % gleich.

Du bringst es auf den Punkt.

Grüße Sonja

Christian Stahl

Was würde denn passieren, wenn man alle Soldaten abziehen würde und nur noch unbewaffnete zivile Helfer da lassen würde? Genau das, wovon viele Soldaten berichten, die aus Afghanistan Heim kommen. Nämlich, dass man mitgeholfen hat Schulen aufzubauen, man dann aber abgezogen wurde um andererorts auch eine zu bauen, drei tage später wieder zurück gekommen ist und die Schule niedergebrannt und die Lehrer mit durchschnittener Kehle aufgefunden hat. Der zivile Aufbau sollte natürlich im Vordergrung stehen, aber ohne militärischen Schutz werden sehr viele zivile Helfer in einer Plastiktüte nach Hause kommen. Wenn sie überhaupt Heim kommen.

joerg

wie gesagt, dem widersprechen langjährige Erfahrungen der Entwicklungshelferinnen. Die halten die Arbeit MIT Soldaten schlicht unmöglich. Wenn ich aber hergehe und mit Gewalt Schulen eröffne, ohne die Bevölkerung mitzunehmen, dann passiert sowas wohl.

Christian Stahl

Die Schulen wurden NICHT mit Gewalt eröffnet, sondern mit Gewalt geschützt. Und wenn sogar Lehrer in Afghanistan die Soldaten anflehen die Schulen zu beschützen, weil sie Angst vor den Taliban haben, sprichst das für sich selbst. Was wäre denn, wenn es kein Militär in Afghanistan geben würde? Dann würden in den Fussballstadien immernoch Frauen hingerichtet werden, anstatt, dass sie dort selbst Fussballspielen könnten. Gewalt ist keine schöne Sache, aber manchmal unumgänglich. Und die Taliban lassen sich nun mal nicht mit Worten besänftigen. Wer das glaubt, glaubt bestimmt auch an den Osterhasen.

joerg

‚tschuldigung, hätte „quase“ mit Gewalt heißen sollen. Nochmal: diese Schulen werden nur bestehen, wenn sie der oder die örtliche Machthaber akzeptiert. Also, hingehen, sich das Vertrauen der Leute erarbeiten, die sprache lernen, sich bekannt machen. Irgendwann dann Schule etc. (sehr verkürzt). Sonst müssen sie sie mit Gewalt schützen. Sie werden auf dieses mittelalterliche System (von dem wir soweit weg auch nciht sind) nicht von heute auf morgen ein westliches propfen können.
Wer sind „die Taliban“?

Dietrich Herrmann

Lieber Jörg,

in der Kritik an Ralf Fücks‘ Verharmlosung des Militäreinsatzes in Afghanistan sind wir uns einig, aber zugleich ist die Forderung vieler grünlinker, Fücks solle nun seinen Rücktritt einreichen, auch etwas platt. Vgl. meinen Beitrag
http.//dietrichherrmann.de/?p=215
Gruß in meine alte Heimat