Seit vier Wochen dominieren die gewalttätigen Proteste und die gewalttäige Gegenreaktion der Regierung „En marche“ in Frankreich, vor allem in der Hauptstadt Paris die Auslands-Berichterstattung.
Wieviel Sympathie gab es für Macron, als er nach der Enttäuschung über Hollande die Wahl gewonnen hatte. Mit 66,1 % gewann er bei den Präsidentenwahlen, die rechtsradikale Le Pen erreicht 33,9%. Macron trat als unabhängiger Kandidat mit seiner Bewegung „EnMarche“ außerhalb des etablierten Parteienspektrums an. Eine seiner zentalen Forderungen lautete:
Wirtschafts-, Sozial- und Finanzpolitik: Der Ex-Wirtschaftsminister will das Land wettbewerbsfähiger machen, das Arbeitsrecht lockern, 120.000 Stellen im öffentlichen Dienst abbauen und in fünf Jahren 60 Milliarden Euro einsparen.
Viele der Kommentatoren haben damals nach der Wahl geschrieben, dass eine große Aufgabe sein wird, Frankreich wieder mit sich selbst zu versöhnen und Zuversicht zu schaffen. Die Bevölkerung in den europäischen Nationalstaaten leidet überall unter dem neoliberalen Kurs in Brüssel und durch die von Deutschland vorgelegte Agenda 2010. Deutschland ist Hegemon, die anderen Länder kommen in der Form wirtschaftlich kaum mit dem größten Niedriglohnsektor in der Eurozone mit. Das ist mehrfach diskutiert und belegt – alleine: es gibt in Deutschland keine Bewegung, die sich dem ernsthaft entgegen setzt.
Die französische Bevökerung hat sich – mal wieder – darauf verlassen, dass neue Besen gut kehren. Alles schien besser als Francois Hollande, der seine Versprechen nicht erfüllte. Dann eine ganz neue Bewegung – die offen neoliberal zu agieren versprach. Aber geändert hat sich am Ende für die meisten Leute nichts. Es ist wie überall in Europa: die Reichen werden reicher, Konzerne fahren hohe Gewinne ein, die sie an ihre (reichen) Aktionäre und im Management verteilen, die Mittelschicht kommt grade noch so über die Runden und am unteren Ende wird es schon duster. Darunter eine Klasse von Menschen, deren Erwerbsleben geprägt ist von Umbrüchen, Arbeiten mit dem Mindestlohn, in Deutschland immer wieder Arbeitslosigkeit und Zeitarbeit. Darunter dann diejenigen, die als Werkvertragler*innen und Subunternehmer*innen die eigene Ausbeutung auf die Spitze treiben – am Beispiel Paketbot*in oder Amazon-Lagerarbeiter*in immer wieder verdeutlicht. Und natürlich die, die der Arbeitslosigkeit aus vielerlei Gründen kaum entkommen können.
Frankreich hat nach der Wahl etwas ähnliches erlebt wie Deutschland nach der Agenda 2010: eine Wirtschaft, die wieder zu laufen anfing, sinkende Arbeitslosenzahlen. Im Gegensatz zu Deutschland aber hat sich das Außenhandelsdefizit nicht erholt – und wird es auch nicht – denn von Frankreich hat Deutschland wegen Schröders Niedriglohnsektor kaum Konkurrenz zu befürchten. Dafür passiert das selbe wie in Deutschland – das Geld kommt nicht bei den Ärmsten an. Eineinhalb Jahre ist Macron an der Macht – die positiven Veränderungen kommen nicht wirklich dort an, wo sie am nötigsten gebraucht werden.
Anders als in Deutschland aber entlädt sich die Wut der Franzosen über eine im Ursprung ökologische Reform in Form von Protesten. Während in Deutschland in der vergleichbaren, aber doch existenzbedrohlicheren Situation mit drohenden Fahrverbote die Menschen still leiden und sich ihre Militanz in Facebookkommentaren entlädt – so gehen die GilletsJaunes zu Beginn wegen einer Ökosteuer auf die Straße, die letztendlich die Wut auf die Höhe der Steuern allgemein ist, die für niedrige und mittlere Einkommen einfach nicht mehr zu bezahlen sind. Steuern, Miete, Lebensmittel – am Ende bleibt Monat übrig, nicht Geld. Hier wie dort.
Ist Gewalt aber die richtige Antwort? Ja und Nein. Ja, weil jede*r seine eigene Form des Protestes finden und leben muss. Ja, weil andere Formen des Widerstands zu nichts geführt haben, die Leute nicht gehört werden. Nein, weil Gewalt seltenst eine Lösung ist. Und Nein, weil zu viele Menschen, die nicht an den Protesten teilnehmen oder gar schuldig sind, unter der Gewalt leiden. Kollateralschänden wie die Frau, der ein Auge von Gummigeschossen ausgeschossen wurde, obwohl sie nicht beteiligt war. Oder die verbrannten Autos von Bürger*innen, die mit diesem Auto nur zur Arbeit müssen. Und die Menschen, die wegen der Riots nirgendwo mehr hin kommen – weder zur Arbeit (in Krankenhäusern, Pflegeheimen, als Schaffner, in Behörden, ….) noch zum Arzt, weil nichts mehr fährt, Straßen blockiert sind oder Menschen in fahrenden Autos angegriffen werden – einfach so.
Und am Ende? Wo stehen die GilletsJaunes? Politisch ist es diffus. Sind rechts- und links gerichtet, oft genug aber offensichtlich Ausdruck einer allgemeinen Unzufriedenheit. Dass in Deutschland alles rechts von der CSU sich dieser Proteste annimmt, ist auch kein Geheimnis und zeugt von wenig Verständnis für das, was dort passiert. Hauptsache Protest, Hauptsache, das System überwinden – was auch immer das System ist. (Und Hauptsache,es ist keine linke Demo wie gegen G20, die ja denselben Impuls haben – eigentlich). In Deutschland antidemokratisch – in Frankreich ist es nicht ganz klar, wohin der Zug geht. Da, wo die Proteste rechts unterwandert sind, kann man sie nicht gutheißen. Und es gibt ja Berichte über Impulse aus dem Le-Pen-Lager in diese Bewegung hinein und Faschisten, die dort mitlaufen. Und mit Rechten marschiert man nie zusammen – und bei Protesten dieser Dimension, noch dazu relativ unkoordiniert, marschiert man automatisch mit Rechten zusammen. Es scheint, als solle halt Macron weg, weil nach anderthalb Jahren noch imer keine Besserung in Sicht ist.

Man wünscht sich eine soziale Bewegung, europaweit, die endlich den Neoliberalismus hinwegfegt. An dem Punkt haben die GilletsJaunes meine ganze Sympathie.Leider sind sie das nicht nur. Und da jede*r, der mitmacht, willkommen ist, ist auch nicht klar, wo das alles hinführt. Zumal eine geringe Bereitschaft besteht, sich der rechtsextremen Kräfte zu entledigen – da reichen einzelne belegte Aktionen bei Weitem nicht aus. Am Ende, so hofft die französische Regierung wohl, werden die Weihnachtsfeiertage und die Zeit bis zum Neuen Jahr die Proteste ermüden. Wenn nicht, wird auch diese Bewegung Leute finden müssen, die für sie spricht. Oder die Regierung muss sich einige Tage Zeit nehmen und mit allen sprechen,die bereit sind, ins Gespräch zu gehen.
Ich vermute und befürchte, dass die GilletsJaunes das Schicksal vieler anderer Bewegungen erleiden, die sich in Europa in den letzten Jahren auf die Straße gegen den Kapitalismus begeben haben. Oder sie weiten sich aus. Und dann komme selbst ich ins Grübeln: will ich denn aus meiner Wohlfühlblase heraus? Will ich Opfer bringen, wenn das bedeutet, dass für alle etwas besser wird? Denn dass es an mir, an uns, die wir uns in der unteren Mittelschicht mit zwei Jobs und Reihenhaus ganz gut eingerichtet haben, vorbeigeht, wenn all das wahr würde, was zu fordern wäre, vorbei ginge, ist kaum zu erwarten. Denn auch das ist mir klar: ich will, dass oben mehr weggenommen wird, um es denen, die unten sind, zu geben. Nur: ich selbst sitze ja in der Mitte. Wirklich?