drum schlaf schön ein und gute nacht
wir werden alle überwacht
kein grund, daß man sich sorgen macht
wir werden alle überwacht
hat Georg Danzer gesungen. So schlimm wird’s schon nicht werden, dacht ich mir in meiner Jugend (und lange Zeit später auch noch) und trotzdem war das Thema immer wieder präsent. Ich war in der Anti-Volkszählungsbewegung in Karlsruhe aktiv und bin bis heute engagiert gegen Vorratsdatenspeicherung. Und die zunehmende Anzahl von Überwachungskameras macht mir zunehmend Bauchschmerzen – vor allem, wenn sich ein paar Ungereimtheiten im Zusammenhang mit ihnen auftun.
Der KVV – der Karlsruher Verkehrsverbund – veröffentlicht regelmäßig Pressemitteilungen, wie gut die Überwachung in den von ihm betriebenen Straßenbahnen funktioniert und wie viel Vandalismus sie verhindert haben – oder gar jüngst, dass sie mittels Kameras in den Bahnen einen Mann identifizieren und verhaften lassen konnten, der sich achtmal in Straßenbahnen vor Frauen entblößt hat und sexuelle Handlungen an sich vorgenommen hat – ein Exhibitionist (Nebenaspekt: Exhibitionismus ist nur für Männer strafbar, was sagt das über Sexismus in Deutschland aus?)
Im aktuellen Jubelartikel über den Segen der permanenten Überwachung in Straßenbahnen steht geschrieben:
Derzeit sind alle 70 Niederflurfahrzeuge, alle 59 Stadtbahnwagen und 112 der Zweisystemfahrzeuge, die im KVV-Gebiet unterwegs sind, mit Videokameras ausgestattet. Die restlichen zehn Zweisystemfahrzeuge werden zeitnah mit Videokameras bestückt“, teilt eine KVV-Sprecherin auf ka-news-Anfrage mit. Rund 4.000 Euro koste die Ausrüstung mit Videokameras pro Bahn. Demnach dürfte der KVV bisher insgesamt etwa 964.000 Euro für die Video-Ausstattung der 241 Bahnen ausgegeben haben.
Stopp, denkt sich da der interessierte Leser, da war doch was! Richtig, Ende 2010 gab es schon einmal einen Artikel.
Rund 8 000 Euro koste es, eine Stadt- oder Straßenbahn mit modernen Videokameras auszustatten, sagt Achim Kirchenbauer, aber diese Investition lohne sich.
Innerhalb von noch nicht einmal 2 Jahren gelingt es also dem KVV, die Kosten für Videointallationen zu halbieren? Wie soll das denn gehen? Die Hardware wird ja kaum das teuerste sein, das dürfte ja eher Installation und Verkabelung bzw. Übertragung sein. WIrd hier etwas billiger gerechnet, damit sich der Einsatz weiterhin lohnt?
Interessant sind die Zahlen, die der KVV da von sich aus preisgibt – udn wohl damit rechnet, dass niemand alte Artikel nachliest:
Im September 2010 wurden für 2009 429.600 € als Schäden durch Vandalismus benannt. 2010 sollen es danach 339.600 gewesen sein. 2012 dann nur noch 236.000 €. Komischerweise nimmt aber der KVV-Artikel Bezug auf die Zahlen von 2007, die niedriger waren als 2009 und mit nur rund 400.000 € angegeben waren. Sei’s drum: 20.000 € pro Monat sind es immer noch. 2007 wurde damit begonnen, die Einsparung beträgt also vermutlich bis Ende 2009 Null €, in 2010 waren es 90.000 €, 2011 dann vermutlich 50.000 €, dann nochmal ~50.000 € auf den Stand von aktuell 236.000 €. Insgesamt hab man also 190.000 € eingespart an Vandalismus, dafür hat man aber, wenn man dem aktuellen Artikel glauben darf (der ja nur noch die Hälfte der Installationskosten anführt) 964.000 € in Überwachung investiert.
Mittlerweile sind fast alle mit der Technik ausgestattet und die Verkehrsbetriebe ziehen eine positive Bilanz. Denn die bisherige Investition von etwa 964.000 Euro für die Anschaffung der Kameras zahle sich aus.
Überprüft man die Zahlen, ist also ziemlich offensichtlich, dass sich die Überwachung nicht rentiert. Das Minus ist offensichtlich, wenn man nachrechnet.
Interessant ist dabei auch noch folgender Aspekt:
Außerhalb der Bahn können mithilfe der Aufnahmen alle möglichen Straftäter gefunden werden, so auch Einbrecher oder Sexualstraftäter“, so die Sprecherin weiter.
Das bestätigt auch die Polizei Karlsruhe. „Die Videoüberwachung in den Bahnen ist ohne jeden Zweifel ein Element der Sicherheit“, so ein Polizeisprecher auf ka-news-Anfrage. Die Videoaufzeichnungen hätten schon häufiger zur Ergreifung eines Täter geführt. Die Kamera-Bilder seien zudem nicht nur eine Hilfe bei der Aufklärung von Taten, die in den Bahnen stattfänden, sondern auch dann, wenn mutmaßliche Täter in eine Bahn ein- oder aussteigen.
Hier findet also etwas statt, was so bislang nicht bekannt war: der KVV stellt seine Videoaufnahmen der Polizei zur Verfügung, die damit mutmaßliche Straftäter fasst. Im Bundesdatenschutzgesetz steht:
Die Beobachtung öffentlich zugänglicher Räume mit optisch-elektronischen Einrichtungen (Videoüberwachung) ist nur zulässig, soweit sie
- 1.
zur Aufgabenerfüllung öffentlicher Stellen,- 2.
zur Wahrnehmung des Hausrechts oder- 3.
zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zweckeerforderlich ist […]
und insofern stellt diese Überwachung einen Verstoß gegen das BDSG dar. Denn die Videoüberwachung ist ja in den Straßenbahnen nicht für die Aufgabenerfüllung öffentlicher Stellen da. Ich hatte in einem älteren Artikel geschrieben:
[…](das) Entstehen und immer stärkeres Zusammenwachsen einer Überwachungsstruktur als eine Gefahr der freiheitlichen Demokratie ansehen. Ein Zustand in dem man sich permanent Fragen müsse, ob man gerade beobachtet werde, sei unbedingt zu verhindern. Dies wird vom Bundesverfassungsgericht damit begründet, dass Menschen, die mit der Registrierung all ihrer Handlungen rechnen müssten, alles täten um nicht aufzufallen. So würden Grundrechte, wie z.B. der Besuch einer Bürgerversammlung nur eingeschränkt wahrgenommen und es entstände ein Schaden des Gemeinwohles.
Und wenn die Polizei scheinbar dauerhaft – anders ist dieser Satz im Artikel ja kaum zu interpretieren – Zugriff auf die Videoaufzeichnungen des KVV hat, dann ist das dauerhafte Überwachung im öffentlichen Raum unter dem Deckmantel der offensichtlich völlig unrentablen Überwachung der Bahnen.
Das Problem bei solchen Überwachungsprojekten wie beim KVV ist ja, dass man damit versucht dauerhaft das _Verhalten_ von Kunden zum vermeitlichen Wohle der Allgemeinheit zu verändern.
Der Denkfehler, den man dabei macht, ist aber, dass man meint schon die Überwachung alleine würde diese Verhaltensänderung erzeugen.
Bei Randalierern ist das zwar oft initial der Fall, schleift sich aber im laufe der Zeit wiedr ab, insbesondere dann, wenn festgestellt wird, dass Konsequenzen ausbleiben.
Mir kann doch niemand erzählen, dass bei kleineren Schäden am Fahrzeug stundenlang Videomaterial ausgewertet wird um die Verursacher zur Rechenschaft zu ziehen. Das wäre ja teurer als die Reperatur. Nein, es geht ausschließlich um den Erziehungseffekt!
Mit den Mechanismen von Überwachung befasst sich die Arbeit „Bilder der Überwachung“, die auch als Buch erschienen ist.
Sven