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vom Frieden

Ich habe hier lange nichts zur Ukraine geschrieben bisher. Mein letzter Beitrag ist aus 2014 und ich finde ihn nach wie vor richtig (auch wenn ich das eine oder andere Zitat nachschlagen musste) und auch ein bisschen erhellend. Das hat viele Gründe – und einer ist der, dass ich in Debatten seit Russlands Einmarsch in die Ukraine in den Sozialen Medien soviel Unfrieden und Bereitschaft, andere zu beleidigen oder massiv abzuwerten, nur weil sie keine der schwarz-weiß Positionen einnehmen, erlebt habe. Manches trifft einen tief, manches lässt einen kopfschüttelnd zurück. Ich bin weiterhin Mitglied der LINKEN – weil ich mir noch nicht klar bin, was ich stattdessen möchte, muss man vielleicht sagen. Und weil irgendwo in mir drin die Hoffnung noch nicht gestorben ist und ich derzeit auch keine Alternative sehe. Dazu werde ich was schreiben, wenn unsere erste OV-Sitzung seit Sommer ’22 vorbei ist. Dann weiß ich mehr.

Aber zurück zur Ukraine, zurück zu „Frieden“ und natürlich den Ostermärschen, die man wohl nach diesem Wochenende endgültig nicht mehr als Ort, an dem für Frieden gerungen wird, bezeichnen kann.

Ich stelle vornean: die richtige Forderung, die zu erheben ist, ist die nach einem sofortigen, bedingungslosen Abzug russischer Truppen aus der Ukraine und das Ende jeglicher Kampfhandlungen. Die Waffen nieder. Aber zuerst die russischen. Eine Rückkehr in die Grenzen vor dem 24. Februar 2022. Alles Weitere kann und muss daraus folgen.

Ich war von Beginn an dieses russischen Überfalls sehr kritisch, was die Waffenlieferungen an die Ukraine anging. Ich war nicht grundsätzlich gegen die Lieferungen, weil auch mir klar war, dass die Ukraine ohne Hilfe Russland kein Paroli bieten kann. Aber die Selbstverständlichkeit, mit der schnell und ohne zu Zögern, mehr und immer schwerere Waffen geliefert werden sollten und das ohne jegliche Alternative auch nur in Betracht zu ziehen – das lag und liegt mir schwer im Magen.

Die Ukraine hatte und hat Probleme mit demokratischen Strukturen, sie hat Probleme, sich von faschistischen und nazistischen Strukturen in der Armee (Azov-Bataillon)  und bspw. der Bandera-Verherrlichung zu lösen, sie hat Probleme, die dazu führten, dass ihr weder NATO- noch EU-Mitgliedschaft in Aussicht gestellt wurden. All dies muss mitgedacht werden. Aber es ändert nichts daran, dass sie ein Recht darauf hat, sich zu verteidigen und es völkerrechtlich vollkommen in Ordnung ist, ihr dabei auch mit Waffenlieferungen zu helfen.

Mich stört nach wie vor die Einseitigkeit der ergriffenen Maßnahmen. Was fehlt, ist nach wie vor die Forderung, die Zivilbevölkerung sicher zu evakuieren, Fluchtkorridore zu schaffen. Was fehlt, ist Kritik an der Einberufungspraxis der Ukraine. Was fehlt, ist die Forderung nach einer internationalen Kontrolle, was mit den gelieferten Waffen passiert. Was fehlt, ist die Forderung, Deserteur*innen Asyl zu gewähren – egal, aus welcher Armee sie geflohen sind. Was fehlt, ist die Forderung nach einem Ende der westlichen Doppelzüngigkeit.

Was fehlt, ist die Ausweitung der Sanktionen.Denn es ist komplex – mit diesen Sanktionen. „Der Westen“ möchte Russland sanktionieren, behauptet er – aber die Atomgeschäfte laufen anscheinende ungehindert weiter. Die Atomstaaten in der EU wie Frankreich brauchen weiterhin russisches Uran – und sind bereit, dafür einerseits für Milliardenbeträge Uran aus Russland zu importieren und dafür Putins Krieg mit zu finanzieren – und andererseits der Ukraine Waffen zu liefern. Das Kapital hat keine Moral und keine Hemmungen.

Auch Gas kommt weiterhin aus Russland, auch wenn EU und Deutschland nicht müde werden, das Gegenteil zu behaupten. Robert Habeck verstieg sich zu der Aussage, dass im Gasmix auch russische Gasmoleküle sein könnten – als wären es bestenfalls Spuren. Aber es sind offenbar sehr große Mengen, die die EU erreichen – 13% sind es nach den letzten Berichten. Das Kapital hat keine Moral und keine Hemmungen.

Was mich aber auch stört, ist, dass der völkerrechtswidrige Überfall Russlands auf die Ukraine durchaus mit dem Afghanistan“einsatz“ (wird er ja immer noch genannt, das ist nicht weit weg von „Spezialoperation“), den Irakkriegen, den NATO-Einsätzen gegen Serbien zu vergleichen ist – und man das kaum formulieren kann, ohne sofort als Putinfreund diffamiert zu werden. Ich kann da nichts für die Tatsachen – sie sind, wie sie sind. Ich frage mich, was geschehen wäre, hätte Russland den Irak auf dieselbe Art und Weise mit Waffen versorgt, wie jetzt die NATO die Ukraine. Aber das steht heute nicht zur Debatte, man darf nur noch darüber sprechen, was der Ukraine geschieht. Das stört mich massiv – denn ich bin weiterhin gegen jeden Krieg und ich mache mir wirklich ernsthafte Sorgen um eine weitere Eskalation.

Denn es stört mich auch, dass der Westen – zumindest öffentlich – Selenskyi nicht dazu auffordert, von seinen Plänen der Rückeroberung der Krim abzusehen. Ja, die Annexion war völkerrechtswidrig – aber ich kann nicht sehen, wie das ohne Krieg rückgängig gemacht werden könnte. Ist es das wert, wie hoch wäre ein zu vertretenden Blutzoll?

Was derzeit nicht zu diskutieren ist, ist meines Erachtens, die NATO endlich zu überwinden. Sie ist im Augenblick die einzige Schutzgarantie für alle Länder hier im Westen, Norden, Süden der Ukraine. Wir haben es verpasst, für eine alternative Sicherheitsstruktur zu sorgen. Möglicherweise wären entsprechende Bestrebungen, eine europäische Sicherheitsstruktur unter Einbeziehung Russlands zu schaffen auch in der Lage gewesen, diesen Überfall zu verhindern. Aber das ist Spekulation. So bleibt die NATO und die Debatte über dieses Bündnis wird nach dem Ende des Ukrainekrieges noch schwieriger werden, als sie davor schon war. Aber sie ist und bleibt, gerade angesichts des Rechtsrucks in den USA dringend nötig. Nur: man muss sie verschieben – auf hinterher. Und nein, das gefällt mir nicht, aber ich sehe derzeit dazu keine Alternative.

Ich bin und bleibe Pazifist – auch wenn ich habe lernen müssen, dass es Situationen gibt, wo nur noch bewaffnete Gegenwehr eine aktuelle Lösung sein kann. Wie jetzt im Fall des Ukrainekrieges, wie 2021, als der Flughafen in Kabul gesichert werden musste (bei aller berechtigten Kritik dann an dem, was da auch geschah, wie bspw. der Tier-Evakuierungsflug), wie im Fall der IS-Schlächter*innen. Es gibt nicht umsonst auch eine positive linke Einstellung zu Partisanen- und Widerstandskämpfer*innen in allen annektierten Staaten und Regionen – von „Bella Ciao“ über die Popkultur um Che Guevera. Es gibt Situationen, in denen denjenigen, die Gewalt ausüben, nur mit Gewalt entgegengetreten werden kann. Das ist das Prinzip, das im Völkerrecht das Verteidigungsrecht bspw. der Ukraine formuliert oder im Strafrecht das Recht auf Notwehr oder gar der zivilen Festnahme. Putin ist nicht Hitler – aber wie sähe Europa heute aus, hätte man sich nicht militärisch gegen ihn gewehrt. Wollten wir in einem NS-Staat leben?

Und so komme ich zu den Ostermärschen. Ich verfolge in den Sozialen Medien, wie berichtet wird und welche Forderungen (nicht) erhoben werden. Zwei Beispiele:

In Karlsruhe haben die #Querdenker um Güzey Israel, Werner Kraft und Klaus Schimmelpfennig einen Ostermarsch organisiert. Eine umfassende Einschätzung dessen, was da heute geschehen wird, wird folgen – bis dahin hilft das umfangreiche Dossier von Karlsruhe gegen rechts (PDF!) weiter. Fakt ist: diese Leute, die ungehemmt mit Rechtsextremen auf die Straße gehen, sie auffordern, zu kommen, Antisemitismus in ihren Telegramgruppen teilen und verharmlosen, wollen alles, nur keinen Frieden. Und die breite Unterwanderung dessen, was von der bundesdeutschen Friedensbewegung übrig ist, von Leuten, die Forderungen erheben, die sich nie an Russland richten, die ist Fakt. Die Friedensbewegung ist tot. Die, die man ernst nehmen kann, müssen sich von den traditionellen Ostermärschen lösen, ein neues Datum finden. Ich kann derzeit nicht erkennen, wie man diese Friedensschwurbler wieder los werden könnte.

Sich für Frieden einzusetzen, war schon immer kompliziert. Denn man stand früher oder später immer auf der einen oder anderen Seite, der Einsatz für Pazifismus wurde schon immer diffamiert. Als ich jung war, waren wir die 5. Kolonne Moskaus, heute sind wir Lumpenpazifisten. Ich bleibe aber dabei: ich stehe auf der Seite derer, die unter dem diesem Krieg leiden. Ich verwehre mich gegen eine rein militärische Logik, ich verwehre mich gegen eine Militarisierung der Öffentlichkeit und der Sprache, ich bleibe kritisch gegenüber dem Militär und seinen Ritualen und Alternativlosigkeiten und lehne sie ab. Dieser und alle anderen Krieg müssen beendet werden. Alle Menschen müssen eine Perspektive für das eigene Überleben haben – auch der Krieg des Kapitalismus gegen die Natur muss ein Ende finden – sonst führen wir bald erbarmungslos Krieg um Ressourcen wie Wasser, Boden, Nahrungsmittel. Das ist der Kern meines Pazifismus. Und der kann durchaus bedeuten, dass der Schwächere auch Unterstützung mit Waffen benötigt und man ihm diese auch gewähren muss. So leid es mir auch tut und so wenig ich das möchte.

 

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Faulenz der Fleißige

Gut gewählte Worte, die das Dilemma ausführlich beschreiben. Mir geht es genau so. Bis zum 24.02.22, dem Tag des Überfalls auf die Ukraine, war ich ein entschiedener Rüstungsgegner. Danach erkannte ich – buchstäblich über Nacht – die Notwendigkeit, zumindest wehrhaft zu sein.

Oder aber andere Wege zu beschreiten, bspw. die Einbindung Russlands in die Sicherheitsarchitektur (m.W. ein alter Vorschlag der Linken). Ob das aber der richtige Ansatz ist? Ich weiß es ehrlich nicht.

Ich weiß nur, dass die Lage beschissen ist.

LG,
Fauli

P.S. Und dann kommen zu allem Übel auch noch die Faschos um die Ecke und bemächtigen sich der Demos. Es ist zum Kotzen.