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Foto aus dem BT vom 30.04.21, Foto Frank Vetter

Was damals rechtens war….

Anton Böhe bleibt weiterhin Ehrenbürger von Malsch. Ich habe hier und hier schon über den Vorgang berichtet.

Knapper geht es nicht. Der Malscher Gemeinderat hat nach der Aufarbeitung der Gewaltvorwürfe gegen den einstigen katholischen Ortspfarrer und Religionslehrer Anton Böhe am Dienstagabend entschieden: Die Ehrenbürgerwürde wird 25 Jahre nach seinem Tod nicht symbolträchtig aberkannt.

vermelden die BNN. 6 CDU-Gemeinderäte, ein SPD-Stadtrat und der Bürgermeister stimmten gemeinsam dafür, dass Böhe Ehrenbürger bleiben kann. Und das trotz des Berichts (PDF), der einen Teil der grausamen Details und den Zeitgeist darstellt.

Beispiel:
Als Anton Böhe beim Kommunionunterricht an der Tafel einen Teller mit zwei
Broten malte, meinte ein Schüler leise zum Nachbarn „sieht aus wie ein
Pudding“, worauf der Nachbar laut lachte. Der Schüler, der den Spruch
gemacht hatte, wurde nach vorne zum Pult zitiert. Anton Böhe zog sich die
Uhr in Zeitlupe vom Arm (um sie beim Schlag nicht zu beschädigen) und
schlug so zu, dass das Kind zwei bis drei Meter vom Pult entfernt zu Boden
fliegt. Es ist mehrere Sekunden bewusstlos; die Klasse lacht, als der Junge
langsam aufwacht

Und es gibt doch reichlich Diskussion in der Gemeinde ob dieser Entscheidung. Ich habe, nachdem die CDU ihre Stellungnahme veröffentlicht hat, nun einen Leserbrief für den Gemeindeanzeiger verfasst:

Was damals rechtens war, kann heute kein Unrecht sein

so kann man die Stellungnahme der CDU-Fraktion, vorgetragen von Hermann Geiger, in der Causa Böhe zusammenfassen, nachzulesen im letzten Gemeindeanzeiger und auf ihrer Homepage.

Ist das so? Hermann Geiger verweist auf den Zeitgeist. Kinder zu schlagen, war normal, war üblich. In der DDR schon kurz nach dem Krieg als „Relikt inhumaner Disziplinierungsmethoden des NS-Regimes“ abgeschafft – sprach in Westdeutschland der Bundesgerichtshof Lehrern noch 1957 ein „generelles Gewohnheitsrecht“ zum Prügeln zu. Aber: schon in den 1960er Jahren verklagten Eltern prügelnde Lehrer, gesellschaftsweit wurde über die Prügelstrafe diskutiert. Die 68er Bewegung, die traditionelle Erziehungsmodelle endlich in Frage stellte und Schulen demokratischer machen wollte, sorgte dafür, dass sich andere Erziehungsansichten durchsetzten. Von all dem will man in Malsch 1982 nichts gewusst haben? Nicht zu glauben.

Im veröffentlichten Abschlussbericht bekommen wir zu lesen:

„Noch Ende der 1970er Jahre wird Pfarrer Böhe als strenger und pädagogisch ungeduldiger Mensch erlebt. Das Schlüsselbund-Werfen war weiterhin üblich; und er traf auch. Auch aus dieser Zeit wird beschrieben, wie Pfarrer Böhe bei der Probe zur Erstkommunion einen Jungen derart mit der geballten Faust von oben auf den Schädel gedroschen hat, dass der Jungen in die Knie ging und vor Schmerz und Schreck heulte.

Noch aus der Kommunionvorbereitung Anfang der 1980er Jahre wird von einer Ohrfeige berichtet, die so heftig ist, dass das Kind den Halt verlor und es gegen den neben ihm stehenden Schüler geschleudert wurde.“

Sein Verhalten war bekannt. Bekannt war und ist auch, dass sich einige Eltern dem Pfarrer widersetzt haben, er, wenn ihm selbst gedroht wurde, aufhörte, die Kinder dieser Eltern zu schlagen. Er war sich also seines Verhaltens bewusst, wusste, dass er nicht maßvoll handelte. Und er war feige, denn er schlug Kinder, keine Erwachsenen, die ihm Paroli bieten konnten.

Dieser Mensch, so Herman Geiger, genoss großen Respekt und Ansehen. Und er relativiert die Ausfälle mit seinen „Verdiensten“ – darunter, „dass er ein gerne gesehener Gast bei zahllosen öffentlichen und gesellschaftlichen Veranstaltungen war.“ Was war das für eine Mälscher Gesellschaft, die einen Feigling, der Kinder prügelte, gerne sah und ihm Respekt zollte? Oder hatten gar alle Angst vor ihm?

Spätestens seit 1973 hätte ihm jede*r entgegen treten müssen – weil er Recht brach. Aber statt dessen schlug man diesen Sadisten, der seine Prügel inszenierte, wie wir lesen konnten, als Ehrenbürger vor. 1982 musste jedem bewusst gewesen sein, dass das, was er getan hatte, falsch war. Aber man schaute lieber weg – feige wie er. Hielt die Gosch.

Geiger fragt: Geht es um späte Rache oder Richtigstellung? Eine Fragestellung, die nicht nur infam, sondern geradezu bösartig ist.

Nein, Herr Geiger. Es geht darum, dass anerkannt ist, was heute jeder weiß und damals schon jeder wissen konnte. Böhes Verhalten war selbst in Zeiten der Prügelstrafen über jedes Maß hinaus extrem. Und solch ein Mann hätte niemals als Ehrenbürger vorgeschlagen werden dürfen.

Aber es ging ja damals auch nicht darum, ihn zu ehren – sondern es ging der CDU darum, in „Ehren“ nicht hinter der SPD zurückzufallen. Die wollte ihren auch nicht ganz astreinen ehemaligen Bürgermeister zum Ehrenbürger machen – da wollte die CDU nicht zurückstecken und nutze vorhandenes Erpressungspotential. Und im Jetzt ging es nicht darum, endlich diesen unseligen Beschluss aufzuarbeiten – es ging darum, Herman Geiger, der 1982 für ihn als Ehrenbürger gestimmt hatte und die CDU, die ihn vorschlug, bloß nicht sozusagen als „Kollateralschaden“ dafür verantwortlich zu machen.

Die Stellungnahme der CDU ist voller Relativierungen unmissverständlich grausamer Taten. Auch heute schaut Herr Geiger und mit ihm die gesamte Fraktion lieber weg, anstatt genau hin – obwohl sie es schwarz auf weiß vor sich liegen haben. Sie finden kein Wort der Entschuldigung, kein Wort des Bedauerns, kein kritisches Wort für den damaligen Zeitgeist. Sie haben damals alles richtig gemacht – es war halt so. Das ist das Empörende an dieser mehr als selbstgerechten Stellungnahme. Ein Mensch mit „Stärken und Schwächen“, so beschreibt die CDU-Fraktion Böhe. Ein Mensch wie „Du und ich“. Also wie ich garantiert nicht.

Er hätte die Ehre um seine Verdienste vermutlich verdient, hätte er irgendwann zwischen 1973 und seinem Tod 1998 gesagt: „Ich habe etwas getan, was aus dem damaligen Zeitgeist heraus zu begreifen ist und was ich als Last mit mir trage. Es tut mir leid“ – dann gäbe es die heutige Diskussion über ihn nicht. Aber er hat nach 1973 nicht nur weiter geprügelt – sondern einen solchen Satz nie von sich gegeben.

Und die CDU-Fraktion sagt nicht: „wir haben etwas getan, was wir als Last mit uns tragen. Es tut uns leid.“ Nein, sie tun es noch einmal.

Es ist also auch am Ende nicht wirklich überraschend, dass Teile der SPD- und CDU-Fraktion zusammen dafür sorgen, dass ihr damaliges Handeln, über dessen Unrecht sie sich im Klaren hätten sein müssen, weiter Bestand hat. Es ist ein wenig überraschend, dass der Bürgermeister sich zudem auf die Seite derer stellt, die Böhe weiterhin Ehre zuteil werden lassen wollen. Aber er fand ja von Anfang an, dass das Umbenennen einer Straße zu kompliziert ist. Das kann man nur tun, wenn man einen Straßennamen für einen verstorbenen Bürgermeister braucht – nicht, um jemanden auf seinen Platz in der Gemeindegeschichte zu verweisen. Dass die SPD als Partei dagegen in den Sozialen Medien eine Kampagne startet, in der sie so tut, als hätte sie mit all dem nichts zu tun – „wir haben mehrheitlich anders entschieden“ – ist nichts weiter als Heuchelei. Und nicht minder verantwortungslos. Kritik an ihrem Genossen – die formulieren sie nicht. Auch kein „es tut uns leid“.

Wegschauen – das können wir Deutschen besonders gut. Hinschauen ist schwieriger, sich kritisch äußern noch schwieriger und Verantwortung übernehmen und falsches Handeln zu revidieren – für zu viele anscheinend unmöglich. Die CDU hat sich entschlossen, zusammen mit Bürgermeister Bechler und SPD-Gemeinderat Schick auch 2023 noch einmal Pfarrer Böhe für seinen Erziehungsmethoden der Schwarzen Pädagogik zu ehren, ihm aus dem Rund des Gemeinderats noch einmal zu applaudieren.

Lasset den Toten ruhen in Frieden“ appelliert Hermann Geiger. Wie kann man ihn ruhen lassen, wenn seine unfriedlichen Taten bis ins Hier und Jetzt wirken – auf die Menschen, die unter ihm gelitten haben? Wie kann man von seinen Opfern verlangen, dass sie schweigen? Wie bodenlos alleine ist dieser Satz!

Aber: es ist nicht zu spät. Sie alle könnten noch einmal nachdenken. Dann könnten sie sich zusammen mit den anderen Fraktionen zusammen setzen und diese Abstimmung noch einmal vornehmen. Und dann mit einem Ergebnis, dessen man sich als Mitbürger*in nicht schämen muss. Seien Sie mutig!

 

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Michael Gissler

Chapeau Herr Rupp, der Ehrenbürgerbeitrag ist das Beste was ich von Ihnen je gelesen habe.