am Beispiel der Niederlage der GRÜNEN im Jahre 2013.
Schauen wir zurück ins Jahr 2012. Die GRÜNEN beschließen ein relativ linkes Wahlprogramm, mit Steuererhöhungen. Diese Steuererhöhungen waren bei der November-Delegiertenversammlung Ende 2011 beschlossen worden, sie waren angepasst an die SPD-Forderungen zur Steuererhöhung und gingen nur leicht darüber hinaus (Anstieg des Spitzensteuersatzes ab 60.000 € versteuerbares Einkommen anstatt ab 80.000 €, nur 49% Spitzensteuersatz). Ich hatte damals für einen noch höheren Spitzensteuersatz gesprochen und auch gestimmt. Ein Teil des Realolagers war gegen diese Erhöhung, vor allem diejenigen aus Baden-Württemberg.
Und so begann spätestens Mitte 2013 ein denkwürdiger Wahlkampf: Realos vor allem aus Baden-Württemberg, Bayern und Hessen bekämpften öffentlich über die Presse die eigenen Steuerbeschlüsse. Mit großer Anstrengung gelang es, trotz des permanenten „friendly-fire“, die Umfragewerte einigermaßen konstant zu halten – bis in den Sommer hinein:

Im August 2013 – kurz nachdem die Debatte um den Veggieday sich Bahn brach, dann erstes, zählbares Nachlassen der Werte. Kurz zuvor spülte die Debatte um Daniel Cohn-Bendit und die Vorwürfe gegen ihn wegen Pädophilie noch einmal an die Öffentlichkeit. Grund war die Entscheidung der Theodor-Heuss-Stiftung, ihn als Preisträger der Stiftung zu ehren:
Er bekommt die Auszeichnung angesichts seines langjährigen außerordentlichen Engagements, als Ideengeber und Politiker immer wieder auf Veränderung einzugehen, Lösungen zu suchen und dadurch stets neue Wege in der Demokratie zu beschreiten.
Im Vorstand der Stiftung: Winfried Kretschmann, der sich nicht dagegen ausgesprochen hat. Ich erinnere mich noch gut an die Debatte im Landesvorstand.
Beide Kampagnen, aus der konservativen Ecke, die gegen Cohn-Bendit noch dazu vorangetrieben vom heutigen Koalitionspartner der GRÜNEN im Land, sorgten für nachhaltige Einbrüche der Umfragewerte. Kurz vor der Wahl gerieten dann neben Cohn-Bendit auch zuerst Jürgen Trittin und in der Woche der Wahl Volker Beck ins Visier. Beck wurde zudem der Unwahrheit überführt – zumindest in den Augen der Öffentlichkeit:

Am Ende blieben 8,4%. Ich kann mich daran erinnern, wie die Stimmung an den Infoständen umschlug, man sich als Grüner Wahlkämpfer selbst mit Pädophilievorwürfen auseinandersetzen musste.
Der Veggieday war ein jahrealter Beschluss, der eigentlich in jedem Wahlprogramm stand. Die Pädovorwürfe gegen Cohn-Bendit und Beck ebenfalls nichts Neues – der aktuelle Chefredaktuer des Freitag hat ja immer wieder versucht, diesen Bogen zwischen den Generationen der Grünen zu schlagen. Die 8,4% waren das Resultat einer Medienkampagne, der die GRÜNEN nichts entgegen zu setzen hatten. Im Ergebnis
Das ist die wahre Geschichte des Wahlkampfes 2013. Nachzulesen in alten Presseberichten, überprüfbar anhand der Umfragewerte. Den einzigen Bezug, den man zu den Steuerbeschlüssen herstellen könnte ist, dass diese Kampagne losgetreten wurde, weil es diese Steuerbeschlüsse gab. Aber das hat bislang niemand getan.
Die Realos haben vor, während und nach der Wahl an der Legende gestrickt, die Steuerbeschlüsse allein wären am schlechten Ergebnis schuld gewesen. Damit zwangen sie nicht nur Jürgen Trittin, sondern auch Claudia Roth zum Rückzug – aus dem Nichts tauchte Toni Hofreiter auf. Innerparteilich wurde die alte grüne Linke zerschlagen und mit einer pragmatischeren Gruppe unter Toni Hofreiter und jungen Abgeordneten wie Agnieszka Brugger ersetzt.
Unentwegt wurde behauptet, dass der Steuerwahlkampf, den man so nie mehr führen wollte – und das, wo es doch gelungen war, alle Behauptungen zu widerlegen und ein kompliziertes Thema wirklich vielen Leuten nahe gebracht hatte – daran schuld war. Bis heute wird Jürgen Trittin dafür verantwortlich gemacht:
Jürgen Trittin musste an der Niederlage von 2013 schuld sein, aber dafür hatte er vorher auch die Richtlinienkompetenz im Wahlkampf
schreibt Peter Unfried in der taz.
Jetzt, wo die Realos alleine an der Macht sind – die Partei von Özdemir und Göring-Eckart in den Wahlkampf geführt wird, am G-Kamin, dem inoffiziellen Sprachrohr der Grünen, die irgendwo in den Ländern am regieren sind, sie ebenfalls die Mehrheit haben – jetzt sollte sich doch alles zum besseren wenden. Tut es nicht – offensichtlich.
Geprägt von einer öffentlichen Debatte um die Abschiebepolitik, an deren vorderster Front die GRÜNEN aus Baden-Württemberg den Abschiebestopp nach Afghanistan verhindern, von einer Debatte um soziale Gerechtigkeit, die Martin Schulz voran treibt – und die die GRÜNEN nicht führen möchten, weil sie nicht von der Agenda 2010 lassen können. Mit Özdemir und Göring-Eckart stehen die Vertreter des Flügels im Mittelpunkt, die nicht nur (erneut) den Krieg nach Afghanistan gebracht haben, sondern die die Menschen, die von dort flüchten, auch dorthin zurückschicken wollen. Und es stehen die Protagonisten im Blick der Öffentlichkeit, die gegen die Änderungen an der Agendapolitik innerhalb der GRÜNEN gekämpft haben. Viele Wähler*innen der GRÜNEN kommen aus dem rot-grünen Lager. Sie wollen eine andere Politik. Diese Wähler*innen wenden sich jetzt der SPD zu – oder wenden sich ganz ab. Es geht vielen wie mir: ich weiß momentan nicht, wen oder was ich wählen werde. (29.4.17: ich weiß es: ich wähle DiB) Ich traue der SPD nicht, die in den letzten Jahren, als sie die Politik hätte umsetzen können, die Schulz jetzt formuliert, versagt hat und bei der Union untergekrochen ist. Und ich traue der Linken nicht, die zu viele nationalistische Signale sendet. Ich mag keine autoritäre Partei. Die GRÜNEN als Abschiebepartei sind für mich durch.
Die GRÜNEN könnten die Politik der SPD da, wo sie angesichts Schulz‘ Rhetorik unvollständig ist und in den letzten Jahren vor allem widersprüchlich, thematisieren. Da wäre nicht nur die Sanktionsfreiheit bei Hartz IV, die von der Herbst-BDK beschlossen wurde. Da wäre zudem die Reregulierung des zentralen Instruments der Gängelung der Arbeitslosen: die Zeitarbeit und ein genereller Mindestlohn – kein halbseidene Mindestlohnregelung wie anno 2014. Man muss es deutlich sagen: wer die Zeitarbeit nicht rereguliert, lässt den Jobcentern die Möglichkeit, Arbeitslose in jeden Job unter jeden Umständen zu zwingen. Und angesichts der zunehmenden digitalen Automatisierung eine generelle Arbeitszeitverkürzung.
Statt dessen definiert das Realolager um Göring-Eckart einen 8-Punkte-Plan, der noch nicht einmal das Ende der Sanktionen, gerade erst beschlossen, beinhaltet. In allen anderen Punkten bleibt man vage – dem alten Credo der Realos folgend, dass man mit konkreten Zahlen angreifbar ist – und hinterher schwerer verhandelt, weil man sich ja messen lassen muss.
Unfried stelle in seinem Artikel übrigens die Frage, ob die GRÜNEN am Ende seien. Die GRÜNEN, die schwarz-grün wollen, wozu die Kameradschaft(!) mit der CSU unweigerlich gehört, sind zumindest als progressive Kraft am Ende. Sie wird Scharnierpartei, bei der jeder Inhalt verhandelbar ist und bleibt – und damit beliebig (weswegen man ja nichts konkretes formulieren darf).
Spannend ist und bleibt, dass sich die falsche Darstellung bis in „linke“ Medien hinein hält, die GRÜNEN hätten wegen der Steuer und damit wegen Jürgen Trittin verloren. Das ist Fakenews. Oder schlicht: gelogen, wie man in der guten alten Zeit sagte.
Was die GRÜNEN retten könnte? Ich weiß es nicht. Es ist mir (eigentlich) auch egal. Vielleicht wäre es am besten, sie flögen mit 4,9% aus dem Bundestag.