Aufgrund der langen Halbwertszeiten vieler radioaktiver Substanzen fordert die deutsche Gesetzgebung gemäß § 24 Abs. 4 StandAG eine sichere Lagerung über 1 Million Jahre. Die Halbwertzeit von Plutonium-239 beträgt 24.000 Jahre.
so ist es in der Wikipedia zu lesen. 1 Million Jahre.
Im Interview beim Deutschlandfunk sagt Beate Kallenbach vom Öko-Institut in Darmstadt:
Kallenbach: Aber das ist ja das Ziel der Endlagerung, dass man sagt, wenn wir den Müll dort verstaut haben, dann soll er kommenden Generationen keine finanziellen oder sonstigen technischen Lasten irgendwie mehr abverlangen.
Ich hab da eine Frage. Fragen, die ich mir schon lange stelle, seit dieses Standortauswahlgesetz geplant war, seit ich mich nach Tschernobyl gegen Atomkraft engagiert habe. Eine Frage, die mir bislang so richtig niemand hat beantworten können.
„Wenn ein Endlager tatsächlich mal fertig befüllt ist und verschlossen ist….“ sagt Frau Kallenbach. Verschlossen, für eine Million Jahre?
Wer will, wer kann das garantieren?
Aber gut – gehen wir davon aus, dass man mit der geologischen Prognose für die nächsten 1.000.000 recht hat. Man schließt den strahlenden Müll sicher in einem Stollen ein und verschließt diesen Stollen. Nichts dringt in ihn ein. Er ist sicher vor der Außenwelt abgeschlossen.
Wie stellt man sicher, dass das Wissen um die gefährlichen Hinterlassenschaften bei denen, die in dieser Gegend leben, erhalten bleibt? Plutonium hat eine Halbwertszeit von 24.000 Jahren. Weißt Du etwas über die Zeit von vor 24.000 Jahren? Also überliefertes Wissen. Nachvollziehbar, nicht verfälscht.
Wir können heute Höhlenmalereien in ihrer Bedeutung nicht mehr wirklich verstehen. Vieles, was vor 6000 Jahren geschrieben wurde, ist nicht mehr verständlich. Viele Sprachen sind verloren gegangen. Klar, die Ausgangsposition heute ist eine andere. Aber einen so langen Zeitraum meinen, überschauen zu können? Wie können wir wissen, ob es nicht Gesellschaftsumbrüche wie Kriege oder Katastrophen gibt, die Wissen vernichtet, alle Menschen aus der Region, in der dieses Lager sein wird, vertreibt, die Institutionen, die das Lager überwachen, zerstört? Vielleicht nicht erst in 10.000 Jahren – sondern vielleicht schon zuvor?
Auch Frau Kaltenbach weiß:
Wenn ein Endlager tatsächlich mal fertig befüllt ist und verschlossen ist, dann soll es eigentlich nichts mehr kosten, außer man stellt eben fest, wir haben Fehler gemacht. Das heißt, man hat vielleicht noch geringe Kosten für eine Überwachung dieses Endlagers über einen gewissen Zeitraum, vielleicht von einigen Jahrzehnten.
Das erste Problem ist ja tatsächlich – und hier hab ich während des Schreibens eine Erkenntnis, die meine bisherige Meinung ändert: dass wir glauben, dass dies eine jeweils nationale Aufgabe wäre. (Bisher dachte ich: unsere AKWs, unsere Verantwortung. Das mag für Atommüll gelten, den wir nach der „Wiederaufarbeitung“ zurückbekommen, aber nicht für Endlager, das wird mir grade klar). Denn wissen wir, ob die Nationen, die dies veranlassen und verantworten, in 100, in 1000 Jahren noch existieren? Können wir wissen, ob es dann Deutschland noch gibt? Können wir sicher sein, dass es, wenn es nicht mehr existieren würde, ein Nachfolgestaat – z. B. um ein positives Bild zu zeichnen, ein Aufgehen in einem Land „Europa“ – alle Informationen zu diesem Lager erhält und auch in seiner Wertigkeit erkennen kann oder möchte? Können wir sicher sein, dass nachfolgende Generationen bereit sind, dieses Endlager zu überwachen und sich nicht die Kosten einsparen möchten – oder müssen?
Die Endlagerung von Atommüll ist also tatsächlich eine Menschheitsaufgabe. Eine Aufgabe, die so gelöst werden muss, dass zumindest der Versuch unternommen wird, dass in der Region, die bei einem Unfall mit diesem Atommüll, dem Größten Anzunehmenden Unfall mit diesem Atommüll, das Wissen vorhanden bleibt, dass dort etwas liegt. Ich persönlich kann mir nicht vorstellen, dass Materialien, die wir heute benutzen, um ein solches Lager zu verschließen, 1 Million Jahre dicht sein werden. Oder auch nur 10.000 Jahre.
Und insofern braucht es zumindest den Versuch, dieses Wissen auch über einen Zivilisationsbruch hinaus erhalten zu wissen. Ich bin weder Historiker, noch Archäologe noch sonst irgendwie Geschichtswissenschaftler. Aber was ich weiß ist: die einzige Art und Weise, selbst verfälschtes Wissen über Jahrhunderte zu erhalten, sind Geschichten und Erzählungen, Lieder und Gemeinschaften wie Religionen oder ein Kult. Ich persönlich, antireligiös, würde eine Gemeinschaft gründen und sie mit sehr viel Geld ausstatten. Eine Gemeinschaft, die die Orte, an denen Atommüll lagert, kennt und dieses Wissen erhält. Die Geschichten darüber „an Lagerfeuern“ erzählt, die Lieder à la „Schwäb’sche Eisebahne“ (wer das Lied gut kennt, kennt die Orte Stuttgart, Ulm und Biberach, Meckebeure, Durlesbach!) publiziert, die dafür sorgt, dass das Wissen über das reine Faktenwissen hinaus erhalten bleibt. Eine Gemeinschaft, deren Mitglieder – und nun merk ich halt doch, dass ich gerne Science Fiction und Dystopien lese – vermutlich am besten nicht gewählt – sondern ausgewählt und berufen werden sollten. Deren Status so gewählt wird, dass angenommen werden kann, dass sie die Zeit überdauert.
Wer weiß, vielleicht gibt es solche Pläne längst. Aber ich kann mir auch vorstellen, dass bisher wenige Menschen daran gedacht haben. Oder die Kosten scheuen, ein solches Modell zu erstellen und ins Leben zu rufen. Aber mir erscheint es, in Verantwortung für zukünftige Generationen, unabdingbar zu sein. Wäre ich ein guter Schriftsteller, würde ich vielleicht einen Roman schreiben. In der Hoffnung, dass das Problem erkannt wird. An politische Prozesse glaube ich nicht mehr wirklich – da regiert das Geld und kurzfristige Interessen.