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Mika Ullritz (l) als Winnetou und Milo Haaf als Tom Silver in einer Szene des Films „Der junge Häuptling Winnetou“. © dpa

Winnetou und die beschränkte Gesellschaft

Vorab: ich war als Kind und Jugendlicher ein großer Karl-May-Fan. Die Winnetou-Geschichten haben mich berührt und fasziniert, aber mindestens genauso waren die Geschichten um Kara-Ben-Nemsi toll und spannend. Als in der Schule im Religionsunterricht der Islam dran war, hatte ich immer gute Noten und viel mündliche Mitarbeit – weil ich in seinen Büchern so viel über den Islam gelernt hatte. Ich hatte nicht nur Tränen in den Augen, als Winnetou starb, sondern auch als Dojan oder Rih starben. Die Filme, die auf den Geschichten basierten,  waren für mich, der ich zuerst die Bücher gelesen  hatte, eine einzige Enttäuschung – aber bis heute berührt mich je nach Stimmung die Winnetou-Melodie sehr und ich hab sie in einer Playlist liegen. Und ich merk gerade: ich werde sie nach dieser Debatte nie mehr so unvoreingenommen, nur genießend hören können.

Ich weiß, in den Sozialen Medien bildet sich nur bedingt ein gesellschaftlicher Querschnitt ab. Ich selbst habe ja nur Facebook und Twitter und diesen Blog hier – aber was da auf einen einströmt, ist schon problematisch. Oder vielleicht sollte ich sagen: desillusionierend.

Vielleicht noch einmal zu den Fakten: ein Film mit dem Titel „Der junge Häuptling Winnetou“ kommt in die Kinos. Daniel Kothenschulte berichtet so darüber:

Dies ist keine Filmkritik, denn nach etwa einer Stunde hatte ich genug von rassistischen Darstellungen indigener Völker Nordamerikas. Karl May verfasste seine Werke zur Zeit des Kolonialismus, das Stereotyp des „edlen Wilden“ überlebte ihn um mehrere Generationen. Aber Hollywood zeigte sich lernfähig, ein Umbruch wurde im dortigen Mainstreamkino bereits durchgesetzt.

Doch was man nun in „Der junge Häuptling Winnetou“ sehen kann, ist in den meisten westlichen Filmkulturen schon lange von Leinwänden und Bildschirmen verbannt. Rötliches Make-up für weiße Darsteller ist als „redfacing“ verpönt. In einem Kinderfilm noch heute das Volk der Apachen dargestellt zu sehen wie bei einer Kölner Karnevalsfeier, ignoriert alle Bemühungen, die verfälschende Repräsentation aus dem 19. und 20. Jahrhundert nicht über die Generationen weiterzugeben.

Wie es üblich ist, gibt es um solche Filme herum Merchandise-Artikel. Beliebt sind bei Jugendfilmen „Das Buch zum Film“, im aktuellen Film sollten die Bücher vom Ravensburger Verlag verlegt werden, der  Autor „THiLO“ hat sie geschrieben. Ich konnte über Booklooker noch ein Erstleser*innenbuch erwerben – und fand so die obige Kritik rundum bestätigt. Die kurze Geschichte (in Film und Buch): weiße Banditen wollen den Goldschatz der Apachen klauen, sperren dazu Bisons in einem Tal ein, so dass die Apachen eine Hungersnot erwarten und wegziehen wollen. Winnetou deckt das alles auf. Ein weißer kleiner Junge, der eigentlich Pferde stehlen wollte, deckt das auf und gemeinsam mit Winnetou wird alles abgewendet. Keine Rettung ohne Weiße, die Apachen sind zu doof, die Bisonherde zu finden oder gar selbst die Absicht hinter dem Verschwinden zu entschlüsseln. Alles in allem eine vereinfachte Wiedererzählung der alten Geschichte, ohne dass Intschu-Tschuna und Ntscho-Tschi sterben mussten, inklusive aller alten, 150-Jahre-alten Klischees.

Auf die Kritiken hin hat Ravensburger Buch und Puzzle zurückgezogen. Begründung:

Das Unternehmen begründete die Entscheidung mit „den vielen negativen Rückmeldungen“ zu dem Buch „Der junge Häuptling Winnetou“. Es enthalte „verharmlosende Klischees“ über die Behandlung der indigenen Bevölkerung.

Das Feedback habe gezeigt, dass „wir mit den Winnetou-Titeln die Gefühle anderer verletzt haben“, erklärte der Verlag bereits vor einigen Tagen auf Instagram. „Das war nie unsere Absicht“, erklärte Ravensburger weiter und entschuldigte sich „ausdrücklich“.

Was daraufhin losbricht, ist ein (vermutlich) von interessierter Seite orchestrierte Empörungswelle. „Zensur“, „Was dürfen wir noch sehen“, „Bücherverbrennung“ – es ist kaum zu wiederholen. Die Tatsache, dass es um ein aktuelles Buch geht, realisieren die wenigsten Diskutierenden. Die Empörung geht entlang der Tatsache, dass man Karl May rassistische Narrative berechtigterweise, wie ich sagen muss, unterstellt.

Daraus wird im nächsten Schritt: „sie wollen uns unseren Winnetou nehmen“. Und: Karl May war ein Menschenfreund, ein Antirassist, ein Humanist. Also kann das, was über ihn und seine „Reiseerzählungen“ gesagt wird, nicht stimmen.

Ja, ja und ja – aber May war halt eben auch ein Kind seiner Zeit. Abgesehen davon, dass er sein Wissen alleine aus Büchern hatte. Er hat das Interesse an der Geschichte der Ureinwohner auf dem nordamerikanischen Kontinent in uns verstärkt oder geweckt (so wie er bei mir das Interesse und das Wissen um den Islam geweckt hatte). Das ja schon da war. Viele Deutsche sind in die USA ausgewandert und waren Teil der Siedler*innen, die den Natives das Land stahlen. Klar gab es da Interesse, vor allem aber auch daran, dass in der Geschichte erzählt wurde, dass alles berechtigt war und sauber zuging. May hat einen Beitrag dazu geleistet, dass man es anders sehen konnte. Aber halt unvollständig, u. a. die Rolle der Armee verharmlosend, und Winnetou konnte nur der Held sein, der er war, der „Edle Wilde“, weil er von einem weißen Deutschen, der als Klekih-Petra bei den Mescaleros (in Pueblos übrigens, nicht in Tipis, wie es auch der aktuelle Film falsch darstellt) lebte und Winnetou, seiner Familie und ihrem Stamm neben der traditionellen christliche Bezüge in die Erziehung einfließen lässt. Er war Lehrer und er sorgte dafür, dass Ntscho-Tschi und Winnetou eine weiße Bildung erhalten sollten – nur deshalb mussten sie ja zu den Goldlagerstätten. Ohne Weißsein kein Preis – auch das war die Botschaft Karl Mays. Die sich in anderen seiner Erzählungen immer und immer wieder wiederholte. Auch Hadschi Halef Omar wurde christlich(er) und aß sogar Schweinefleisch. Seine „lustigen“ Ausreden darüber zeigen, wie sehr May das Bild seiner Zeit der weißen Überlegenheit bei allem Humanismus verinnerlicht hatte und permanent reproduzierte.

Aber niemand wollte irgendwem seinen Winnetou nehmen, niemand wollte die Heldengeschichte – ich schrieb irgendwo: Winnetou war halt der Spiderman der 1960er Jahre – zensieren, sie verbieten. Aber das war schon völlig gleich. Im nächsten Schritt waren natürlich das Karl-May-Museum, Witwen von Winnetou-Darstellern, Politiker*innen usw. im Empörungsmodus. Und selbstverständlich war schon wieder #CancelCulture und jede Kritik war „woke“. Der Versuch, jede Kritik an solchen veralteten Darstellungen, gerade wenn sie „neu“ daherkamen, zu unterbinden, ging einmal quer durch die Gesellschaft. Aus der Kritik an einem schlechten Film und daraus resultierend schlechten Büchern voller Klischees, die aktuell erschienen sind, wurde ein Abwehrkritik an denen, die sich damit auseinandersetzen, welche Bilder denn immer noch über Native Americans in der bundesdeutschen Gesellschaft reproduziert werden. Gleichlaut und gleich absurd wie Debatten über widerliche Lieder oder dem als Satire kaschierten Antisemitismus der Lisa Eckhart oder der Oma aus dem Hühnerstall, der alten Umweltsau.

Der Springerverlag setzte noch einen drauf. Die Schlagzeile

bzw:

war bewusst irreführend – im Text fand sich die korrekte Information: nämlich, dass die ARD vor über 2 Jahren (Ende 2020) entschieden hatte, die Lizenzen auslaufen zu lassen. Das ZDF zeigt die Filme weiter. Was passiert ist, ist ironischerweise Kapitalismus.

Erschreckend ist, dass, obwohl im Text die richtige Information versteckt wurde, die allermeisten nur die Springerschlagzeilen gelesen haben – und diese Information geglaubt und weiterverbreitet haben. Diese Information als Basis ihrer Empörung genutzt haben. Die trotz Richtigstellungen keine Änderung ihrer Äußerungen vornehmen wollten. Insgesamt erschreckend bleibt auch die Tatsache, dass viele in dem Wort „Indianer“ keinen Rassismus sehen wollen – so wenig wie im N- oder M-Wort, der Z-Sauce uns so weiter. Eine Debatte, die sich wiederholt und wiederholt. Die bundesrepublikanische Gesellschaft möchte gerne an ihrem Rassismus festhalten, M-Köpfe kaufen und einfach nicht drüber nachdenken, was Worte bedeuten und oft genug der Auslöser für Taten sind. Es wundert kaum, dass die Springerpresse (und konservative Parteien) gerade in der Zeit des Jahrestages von Rostock-Lichtenhagen und den vielen Berichten darüber froh sind über eine solche Debatte. und sie forcieren. Und natürlich ist die Idee, dass keine Winnetou-Filme mehr im Fernsehen kommen, eine willkommene Munitionierung im Kampf gegen unabhängigen Journalismus, wie ihn nur der Öffentliche Rundfunk bieten kann. Gerade in den Tagen des rbb-Skandals.

Ich war als Jugendlicher der Meinung, nein, besser: in der Hoffnung, dass meine Generation schlauer ist als die Alten, zu denen auch meine Eltern gehörten. Wir vernünftiger sind, Wissen haben, alte Zöpfe abschneiden, uns von alten, überkommenden Ideen verabschieden. Ich erlebe aber tatsächlich einen tief verankerten Rassismus in der deutschen Gesellschaft – und wie wenig sie bereit ist, ihn loszulassen. Noch nicht einmal bereit ist, darüber zu diskutieren. Schon Kritik daran versucht, zu unterdrücken – CancelCulture mit der Begründung, schon eine Diskussion wäre CancelCulture.

Wie sollen wir denn vorankommen, wenn wir nicht reflektieren, wer wir sind, wo wir herkommen, wie und auf welcher Basis unser Bild der Welt fußt? Wir haben so viel zu lernen und das können wir nur, wenn wir die Dinge auch hinterfragen. Ja, das ist mitunter furchtbar anstrengend, das kann man nicht jeden Tag tun und das muss auch nicht bei jedem Thema geschehen. Aber Entwicklung gab es nie ohne Lernprozesse. Ich habe leider in den verschiedenen Debatten, an denen ich bei Twitter oder Facbook teilnahm nicht ein einziges Mal erlebt, dass jemand sagte:
„Oh, tut mir leid, das wusste ich nicht, dass die ARD aus wirtschafltichen Gründen nicht verlängert hat. Oh sorry, ich dachte, es ginge um Karl May. Dabei ging es um den aktuellen Film. Da muss ich mich mal informieren“
Nein, entweder wurde auf der falschen Info beharrt, es folgte Schweigen oder Beleidigungen. Zwei Debatten mit wertschätzenden FB-Freunden gab es. Wo nachgedacht wurde. Kritisch hinterfragt, auch meine Position. Zwei Lichtblicke unter zig Debatten. Es ist zum verzweifeln. Und ich kann jede*n verstehen, der*die sagt: ich will nicht mehr. Ich auch nicht. Aber:

Denn für den, der nichts tut
Der nur schweigt, so wie du
Kann die Welt, die sie ist
Auch so bleiben

Und das, das ist mir nicht gegeben.

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Martini Becker

Vielen herzlichen Dank für diese differenzierte und insgesamt erhellende Aufarbeitung. Als ich bei facebook die Aufregung sah, dachte ich mir schon: Das kann doch so nicht gewesen sein. Beim Nachprüfen fand ich heraus, dass es um einen völlig missglückten Kinderfilm und das Buch dazu geht. Und mein Gedanke war: Na dann kann es dabei ja nun auch bleiben. Aber nicht doch. Da müssen Tatsachen, die keine sind, beigezogen werden um weiter eine falsche Meinung zu machen. Was habe ich mich aufgeregt. Und ja: Einiges, was ich hier gelesen habe, wusste ich so noch nicht. Deswegen habe ich zu solchen Dingen dann halt nichts gesagt. Um es mit den Worten von Dieter Nuhr zu sagen, als er noch gut war: Wenn man keine Ahnung hat, einfach mal Fre**e halten…

Günther Huber

Super geschrieben