früher glaubte ich an den Rechtsstaat

…heute ist das weitestgehend vorbei.

2 Jahre Demonstrationen gegen Nazis in Karlsruhe haben mich von der Illusion geheilt, dass der Staat neutral sei, sich für alle Bürger_innen einsetzt. Die Situation nach knapp zwei Jahren Protest gegen Naziaufmärsche in Karlsruhe erinnert mich manchmal an da Lied „Im Laufe der Woche“ von Cochise – das ich 16-jährig, als ich die Platte kaufte, kaum richtig einschätzen konnte:

Die letzten Trümmerberge
Sind noch zu sehn and manchen Stellen
Da kommen schon die nächsten an,
Die vom deutschen Reich erzählen.
Die Arme stolz sich recken,
Der Führergruß it wieder dabei,
Sie brauchen sich auch nicht verstecken,
Denn Deutschland war noch nie so frei.
Da kommen andre wie vermessen,
Die wollen diese Nazis nicht,
Das war doch alles schon mal da,
Vergessen wir das bitte nicht.
Und protestieren mit Trillerpfeifen
Oder werfen gar ein faules Ei,
Schon kommt, für manch kaum zu glauben,
’ne Hundertschaft der Polizei.
Und schützen die Neonazies,
Mit Stöcken, Helmen, Stiefeltritt,
Filmen die Gegendemonstranten
Und nehmen sogar einige mit.
Die Faschisten hämisch grinsend,
rein arisch mit festem Blick,
Verlesen lässig ihre Parolen der Nazipolitik.

Wer sind den die Verbrecher,
Wer gehört den in den Knast,
Wer ist brutal und rüchsichtslos
Und wird doch nie bestraft?
Ihr seid doch die Terroristen,
Die Angst ist eure größte Not,
Ihr habt doch keine Antwort mehr
Und plant euren eigenen Tod!
(Cochise, Im Laufe der Woche)

Nach zwei Jahren kann ich sagen: Ja, so und ähnlich war es und ist es immer noch.

Ich habe erlebt, dass, während in Köln der Dom das Licht bei Pegida-Demos ausmachte oder in Dresden die Semperoper, dass in Karlsruhe die Polizei Pegida mit Lichtmasten beleuchtete. Ich habe erlebt, dass Gegendemonstranten verfolgt, kriminalisiert, schikaniert wurden, die Karlsurher Behörden stramme Nazis mit Bussen oder Bahnen vom Veranstaltungsplatz wegfuhren – die dabei hämisch grinsten und „Danke Polizei“ skandierten. Ich habe zwei Jahre lang erlebt, wie mit zweierlei Maß gemessen wurde: unter den Augen und Ohren der Polizei wurde nicht nur ich bedroht („Herr Rupp, ich kenne in Malsch ein paar dunkle Scheunen“) wurde, sondern auch Anwohner*innen der Kargida/KWS-Laufwege. Ich habe erlebt, dass Anwohner*innen, die eine „Refugees Welcome“- Fahne aus dem Fenster hingen, von der Polizei aufgefordert wurden, dieses zu entfernen, weil sie provozieren würde. Aber auch, dass ein KWS-TEilnehmer eine Reichskriegsflagge, auf der „nur“ das Hakenkreuz fehlte, ausrollte und es meine Ansprache per Mikrofon an Stadt und Polizei brauchte, dass sie wieder eingerollt wurde.

Ich habe erlebt, dass die Polizei mehrfach bei Hitlergrüßen wegschaute, erst auf massive Beschwerden hin Strafanzeigen aufnahm. Ich habe erlebt, wie unter den Augen der Polizei mir gegenüber die Halsabschneidergeste durch eine Kargida-Ordnerin ausgeführt wurde – und die Polizei wegsah.

Am gestrigen Sonntag habe ich das letzte Mal teilgenommen – das hatte ich zuvor schon angekündigt, kam dann aber noch einmal, weil ein Journalist einer überregionalen Zeitung da war, um sich das Geschehen anzuschauen und ggf. zu berichten – aus der einzigen Stadt in Westdeutschland, in der durch tätige Mithilfe der Stadt und der Polizei die Nazis sowas wie eine Wohlfühlzone haben – und eine stramme Rechte wie Ester Seitz ihre Heimatbasis entwickeln konnte. Seitz wäre nichts ohne Karlsruhe.

Und ich habe sie noch einmal erlebt – die Karlsruher Polizei.

Noch vor der Veranstaltung ging ich, ganz ruhig, in die Amalienstraße, mich ein wenig umschauen, in Richtung des Veranstaltungsplatzes der Nazis. Sie waren noch lange nicht da, der Platz war leer. Der Bürgersteig war abgesperrt, die Straße jedoch frei. Ich umging das Gitter – und wurde zum Anhalten gerufen. Personenkontrolle – schon das rechtliche Grauzone. Es gab keine Gefahr, ich bin nicht gefährlich, sondern darüber hinaus auch bekannt bei der Polizei, habe mehrfach Demos angemeldet und desskalierend gewirkt.

10 Minuten dauerte das – ich ließ sie durchführen, weil man mir drohte, man könne mich auch aufs Revier mitnehmen. Anschließend wurde mir ein Platzverweis für das Aufmarschgebiet der Rechten erteilt, ebenfalls anlasslos. Weil es in der Vergangenheit mehrfach Platzbesetzungen gegeben habe – was nicht wahr ist. Insofern wurde mit „Gefahrenabwehr“ argumentiert bzw. wird werden, wenn meine Dienstaufsichtsbeschwerde behandelt werden wird.

Ich habe erneut erlebt, dass wie in meinem letzten Bericht Die Polizei sagt nicht die Wahrheit die Polizisten auf dem Versammlungsplatz der Antifa-Kundgebung eine BfE-Einheit stationieren – und sich wieder mit “Ich beschütze Ihre Kundgebung” lustig über einen machen.

Dieses Mal gibt es aber wenigstens ein erkennbares Beweisfoto – das ist dieselbe Stelle, an der sie das letzte Mal standen, wo sie ja angeblich nicht da standen und sich angeblich nicht mit mir unterhalten hatten.

Ich muss nach zwei Jahren konstatieren: ich habe eine Stinkwut auf diese Lügen, ich habe eine Stinkwut auf die Polizei und ich habe eine Stinkwut auf Polizist_innen, die blind Anweisungen folgen und Rechtsbrüche begehen oder sich in eine rechtliche Grauzone begeben. Ohne Not, die nur aus Gründen der Provokation und sich noch dazu über Gegenkundgebungsteilnehmer_innen lustig machen, Leute drangsalieren. Ich habe vor Gericht erlebt, wie ein Polizist, keine 25 Jahre alt, lügt. Wohlwissend, dass er es tut. Und einen Richter, den das überhaupt nicht interessiert und der dann halt dem Polizisten glaubt – auch bei Aussage gegen Aussage.

Mein Vertrauen in den Rechtsstaat und diejenigen, die ihn schützen und verteidigen sollen, ist vollkommen zerstört. Ja, es gibt einzelne Polizist_innen, die nett sind, mit denen man reden kann und die nicht so sind. Aber die größere Masse ist meiner Meinung und Anschauung so. Rechtsstaatlichkeit ist denen genauso fremd und egal wie selbst zu denken.

0 0 votes
Article Rating
Abonnieren
Benachrichtige mich bei
guest
1 Kommentar
Inline Feedbacks
View all comments

[…] Am Sonntag, 18.12., war ich aufgrund der Anfrage der Kontext-Wochenzeitung noch einmal auf #Nokargida. Was ich fort erlebt habe, habe ich hier beschrieben: […]