Zeitreise – mit BAP

Ich bin kein großer Konzertgänger. Das lag früher oft am Geld, heute mag ich nicht in eine solche Großveranstaltung gehen, in der tausende Leute sitzen und ich am Ende keinen allzu guten Platz habe, schlecht sehe oder höre, weil ich nicht einsehe, 250 € für ne Karte auszugeben.

BAP ist eine der Ausnahmen – ich war bei sicherlich 5 Konzerten über die Jahre. Das erste war am 6. Dezember 1982 in der Karlsruher Gartenhalle, da war ich grade mal 16. BAP hatte ich durch einen Bericht im Musik-Magazin oder im Sounds entdeckt. In einem Plattenladen in Karlsruhe hörte ich mir die „affjetaut“ an – und war begeistert. Das Konzert war die Tour zur LP. 7 Zugaben haben sie am Ende gespielt und ihre Wurstplatte mit den Fans geteilt. Ein Erlebnis – nach eher kleinen Konzerten, die ich zuvor besucht hatte – wie „Schwoißfuaß“ oder „Anyones Daughter“ in Ettlingen. Zwei Jahre später dann in der Schwarzwaldhalle – und da schließt sich dann der Kreis – denn am 22.11.24 – also 40 Jahre später, war ich gestern Abend eben dort wieder – auf der Zeitreise-Tour. Das Versprechen – alle Songs von den ersten 4 Platten, konnte Niedecken natürlich nicht einhalten, das hätte den Abend gesprengt. Interessanterweise sprach er von den ersten drei Platten und rund 30 Songs, es waren aber vier LPs. Aber klar, die „Von drinne noh drusse“ konnte nicht fehlen.

Was ich von früheren BAP-Konzterten schon kannte, wiederholte sich: ein Bühnenbild, die Band, Lautsprecher, Spots. Kein großes Brimbarorium, das einen Haufen Geld kostet, sondern die Musik und die Band stand im Vordergrund und dazu brauchte es keine großen Effekte.

Die Zeitreise begann. Und im Laufe des Abends, wenn du Songs hörst, die Deine Jugend mit geprägt haben, kannst du genießen und nachdenken. Ich habe neben internationaler Rockmusik und wenig Pop in meiner Jugend und später auch noch viel deutschsprachige Liedermacher gehört, Krautrock wie Grobschnitt, Politrock wie Cochise und vieles mehr.

BAP war für mich immer auch eine Stimme meiner Rebellion. In meiner Jugend macht ich Blasmusik in einem Karnevalsverein – nein, keine Guggemusik – und jedes Jahr musste ich an Fasching mitmachen. Was Niedecken in „Nit für Kooche“ beschreibt (nämlich Karnevalsflucht) – das war mir damals ein Herzenswunsch und das Lied damals für mich eine Offenbarung. Das konnte man nur laut hören und laut mitsingen! Ich hätte gerne diese Auftritte und Umzüge gelassen, die neben der Gemeinschaft, auf Prunksitzungen unter vielen Gleich- oder Ähnlichaltrigen lange wach zu sein halt auch Einblicke lieferte, die ich schon damals abstoßend fand – ohne das in diesem Alter so richtig formulieren zu können. Ältere Männer küssen junge Gardemädchen,schlüpfrige Witze, meist frauenfeindlich, lösten Brüller im Publikum aus, Alkohol war allgegenwärtig und so vieles war halt mindestens grenzwertig. Rückblickend waren das die 1970er und 80er – und da sah man viele Dinge noch anders als heute. Und trotzdem – das Unbehagen war bei mir damals schon da. Als ich später hier in Malsch einige Zeitlang wieder Blasmusik machte, bin ich an Fasching nicht mehr mitgelaufen. Als Junge konnte ich mich dem nicht entziehen, als Mann dann schon.

Mir hat gestern „Neppes, Ihrefeld und Kreuzberg“ gefehlt – ein Stück über türkische Gastarbeiter und geplatzte Träume, das damals meine ganze Empathie ansprach. Ich glaube, mein Blick auf Migranten ist bis heute von Liedern wie diesem geprägt.

Ihr kohmt uss Ankara un hatt jedaach, he wöhr et wunderbar,
Hatt jeträump vun unsrem Wohlstand, vum Jlöck un vun ’nem volle Kühlschrank.
Vun Istanbul bess Köln, Hauptbahnhof, mem Zoch, wobei üch ziemlich klar wood,
Wie wigg et ess vun he bess dohin, wo Frau un Pänz jetz noch doheim sinn.
Su stund ihr do mem Pappkartönche, hatt jedaach, ühr Zick, jetz köhm se,
Voll ussjerötsch op Chromattrappe, hatt ihr jedaach: „Jetz möht et klappe!“

Neppes, Ihrefeld un Kreuzberg,
Castrop-Rauxel, Ford un Bergwerk,
Türkeveedel, fass wie Harlem,
Müllabfuhr, un waade, waade.
Merke, dat mer nit erwünsch ess
Un met ’nem Schnäuzer keine Minsch ess.

Der „Zehnte Juni“ bleibt für mich, in der Kohl-Ära aufgewachsen, heute mit meinem Abschied und der kritischen Distanz zu den Grünen verbunden. Textzeilen, die ich damals mit der herrschenden Politiker*innenriege verbunden hatte, passen für mich heute gut auf diese Partei, in die ich so viel Herzblut gesteckt hatte und am Ende enttäuscht feststellen musste, dass sie auch nicht anders ist als andere Parteien.

Denn wat ihr logisch nennt, dat nenn ich pervers,
Ühr janze Wertigkeit och.
Mir brich der Schweiß bei jedem Woot von üch uss
Un wenn ihr still sitt, dann och.
Wat ihr „Moral“ nennt, dat ess für mich Krampf,
Wat ihr „normal“ nennt, dat och,
Ühr Ideale hatt ihr diskret verschlamp wie e’ jebruuch Tempodooch.
Sitt ihr scheuklappenblind, wie’t ahl Schlachtrösser sinn,
Affjestumpf oder bloß – skrupellos?

So mitten im Konzert gab es eine Phase ruhigerer Lieder, von denen Niedecken in der Ansage meinte, man habe sie früher nicht so oft oder halt gar nicht gespielt, weil sie (übersetzt) die Dynamik früherer Konzerte unterbrochen hätten. Und so kam ich endlich in den Genuss, mal „Weisste noch“ live zu erleben. Ein Stück, das zum ersten Mal auf dem Live-Album „Bess demnähx“ erschienen ist. Im Vordergrund Niedecken, Multiinstrumentalistin Anne de Wolff und Ulrich Rode.

Bei Stücken wie Kristallnaach bleibt einem angesichts der prophetischen Aussagen im Stück fast die Spucke weg. Ich musste an der Stelle nicht nur an die zwischenzeitlich allgegenwärtigen Nazis und Rechtsextremen in der Mitte unserer Gesellschaft denken, sondern auch an die Querdenker, die sich sehr schnell mit genau diesen verbündet haben.

Doch die alles, wat anders ess, stührt,
Die mem Strom schwemme, wie’t sich jehührt,
Für die Schwule Verbrecher sinn,
Ausländer Aussatz sinn,
Bruuchen wer, der se verführt.
Un dann rettet kein Kavallerie,
Keine Zorro kömmert sich do dröm,
Dä piss höchstens e’ „Z“ enn dä Schnie
Un fällt lallend vüür Lässigkeit öm:
“Na un? Kristallnaach!“

Und klar, ich könnte zu nahezu jedem Stück was sagen. Die Geschichte über den Obdachlosen „Jupp“, der viele erfundene Geschichten über sein Leben erzählt, aber nie was zu Stalingrad und dem er die Worte: „Stalingrad, in welchem Land is das“ in den Mund legt und mit „Stalingrad packt er nie, irgendwie“ kommentiert, hat mich schon auf Studioplatte in seinen Bann gezogen. „Ahn ‘ner Leitplank“ – das für mich immer verbunden ist mit der Reise meiner Familie nach Montenegro, damals im VW Passat, die enge Küstenstraße entlang, wo du manchmal echt Angst haben musstest bei den engen Kurven oder schlecht gesicherten Abgründen zum Meer. Später dann das eigene Erleben, als erstes zu einem Unfallort zu kommen – Erstversorgung zu machen – damals noch ohne Handy um Rettung herbei zu telefonieren – um dann in der Zeitung zu lesen, dass der junge Fahrer an seinen Verletzungen gestorben ist.

Nicht überraschend ist, denn ich hab es ja mehrfach gesehen, dass es Niedecken mit seiner Band schafft, seine Stücke in die Gegenwart zu holen, man nicht das Gefühl bekommt, man hört auf den Konzerten die Stücke immer gleich. Die „Ruut, wiess, blau, querjestriefte Frau“ ist so eine Nummer. Da läuft dann auf einmal die Bläsergruppe mit umgehängten Frankreichfahnen durchs Bühnenbild. Und die „Anna“ hab ich in vielen, veränderten Versionen gehört (bei Liveaufnahmen) beispielsweise. Am Freitag Abend war sie wieder sehr nahe am Original auf der Platte, nur die kleinen Veränderungen am Text sind mir noch fremd. Wenn man sich ein bisschen durch die über die Jahre zusammen gekommenen Live-Alben hört, dann kann man das hören. Der „Jupp“ ist ein wirklich bombastisches Stück geworden. „Do kanns zaubre“ ist durch das Cello wirklich rund geworden – auch wenn es mich am Freitag nicht ganz so abgeholt hat.

Niedecken hat in all den Jahren nie verlernt, eine Sprache in seinen Stücken zu verwenden, die echt ist, authentisch. Und genauso authentisch steht er oben auf der Bühne, mit Gitarre und Mundharmonika am Ende und spielt „Helfe kann dir keiner“ – sein allererstes Stück, alleine, zum Abschluss und macht uns allen die Trennung zwar wieder schwer, aber versöhnlich. So bleibe ich ein Fan von Wolfgang Niedecken und seiner Band. Auch wenn ich politisch nicht immer mit ihm kann, so bleibt er ein Held meiner Jugend und ein Künstler, vor dessen Werk ich höchsten Respekt habe. Weil es ihm gelungen ist – siehe oben – seine Stücke mit der Zeit original ließ – aber doch so verändert hat, dass man bei den Konzerten (auch auf Live-Alben) nie den Eindruck hat, er spielt seine Musik einfach nur so runter. Danke für Alles.

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