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Bezahl-„Arbeitsverweigerer“ in Ruhe und sanktionsfrei lassen

Heute früh hatte ich ein längeres Gespräch mit einer Kollegin. Sie macht sich Sorgen um einen Freund um die 30 Jahre alt, der vor ca. einem Jahr seinen Job gekündigt hat und seitdem nicht mehr arbeitet. Ihr fehlt da ein wenig das Verständnis, zumal er sehr klug ist, hochbegabt mit einem IQ, viele Talente hat – aber er nicht dazu zu bringen ist, dauerhaft arbeiten zu gehen.

Es ist eine weit verbreitete Meinung in der Erwerbsgesellschaft, dass „jede*r ihren Beitrag zu leisten hat“, man „hart arbeiten müsse“ und sogenanntes Nichtstun ist gesellschaftliche geächtet. Wobei „Nichtstun“ ja nur heißt, dass jemand nicht für Geld arbeiten geht.

Ich habe bei einem Bildungsträger 10 Jahre lang Leute auf den 1. Arbeitsmarkt vermittelt. Habe gecoacht, Perspektiven mit den Teilnehmenden gesucht, Gespräche mit potentiellen Arbeitgeber*innen geführt, über Praktika vermittelt, Praktikumsbesuche gemacht, mit Stellenverantwortlichen verhandelt, Eingliederungszuschüsse vereinbart, habe geholfen, Lebensläufe und Bewerbungsschreiben zu entwerfen und zu formulieren, Hoffnung vermittelt und so weiter und so fort. Meine Vermittlungsquote lag bei über 50% (6 Monate nach Ende der Maßnahme noch in einer Beschäftigung), was ein sehr gutes Ergebnis ist.

Seit siebeneinhalb Jahren arbeite ich bei einem mittelständischen Unternehmen, führe eine Niederlassung und stelle Menschen ein (und manchmal muss ich auch welche entlassen). Ich kenne also beide Seiten und habe vor allem in der Vermittlungsarbeit ein paar wenige Menschen kennengelernt, die sich nicht vermitteln lassen wollten oder konnten oder habe als Verantwortlicher, der Leute einstellen soll, Arbeitnehmende kennengelernt, die immer wieder Stellen verloren haben, schwer zu vermittelnde oder Menschen mit Einstellungshindernissen.

Ich will ein paar Beispiele herausgreifen, um zu zeigen, warum es völlig unnötig – und vor allem meistens unmöglich ist, Menschen in Arbeit zu zwingen, die Energie, die Infrastruktur und das Geld in die Zwangsvermittlung zu stecken, wenn Menschen nicht wollen – oder können – oder beides.

Frau Müller war ihr ganzes Arbeitsleben lang in einer Schokoladenfabrik beschäftigt, die geschlossen hatte, weshalb sie dann entlassen wurde. Sie war Anfang 50, sehr freundlich und nett. Ihr Bildungsstand war niedrig, einen PC hatte sie nie zuvor bedient. Sie hatte leichte gesundheitliche Probleme, das Sehen machte ihr Probleme, aber intellektuell war sie kaum in der Lage, sich selbst über offene Stellen zu informieren noch sich zu bewerben noch eine Perspektive zu entwickeln. Wir fanden noch nicht einmal ein Praktikum für sie. Sie hätte gewollt, wenn es etwas Passendes, einfaches gegeben hätte. Das gab es aber nicht und ob sie ein Auswahlverfahren überstanden hätte, ist mehr als fraglich.
Wir haben die Zeit in der Maßnahme genutzt, ihre Lebensqualität zu verbessern, bspw. indem wir ihr erklären konnten, dass man regelmäßig zum Augenarzt geht, was ihr sehr geholfen hat (ihr letzter Augenarztbeusch war 10 Jahre her, entsprechend die Sehstärke verändert), mit ihr Perspektiven für Minijobs entwickelt. Eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit war nicht erreichbar.

Die Vermittlung in Zeitarbeit machte ich nicht, weil ich bei zwei/drei Versuchen, bei denen Teilnehmende explizit in Zeitarbeit wollten, sehr schlechte Erfahrungen machte. Aber auch da wäre sie kaum dem Druck gewachsen gewesen. Diese Frau war zu Hause auch nicht in der Lage, 5 Bewerbungen zu schreiben, um auch nur nachzuweisen, dass sie sich bemühte. Alle Anstrengungen waren vergebens, keine Sanktion, kein noch so hoher Druck hätte sie wieder in Arbeit gebracht oder dauerhaft dort gehalten.

Herr Meier war ungefähr 50 Jahre, als er zu uns kam. Er war schon 10 Jahre arbeitslos, kaufmännischer Beruf und hatte die Hoffnung aufgegeben, wieder eine Stelle zu finden. Für Männer in diesem Alter in diesem Bereich oft sehr schwer. Aber im Gegensatz zu anderen hatte er sich eingerichtet. Alleine lebend, kleine Wohnung. Seine Kleidung war erkennbar älter, aber gepflegt, so wie sein ganzes Äußeres. Er war nicht unwillig, aber er hatte sich eingerichtet in seiner Situation. Stand früh auf, frühstückte, kümmerte sich um seinen Haushalt, ging dann raus, zum Kiosk, kaufte sich eine Zeitung, ging in den Zoo oder in ein Museum, traf sich mit Bekannten. Er war nicht untätig, er beschäftigte sich, trank nicht. Es gelang uns, ein Praktikum zu finden, allerdings hatte er keine Übernahmechance. Für schwere körperliche Tätigkeiten war er nicht geeignet, handwerklich ungeschickt. Hilfstätigkeiten waren weitgehend fest in der Hand von Zeitarbeitsfirmen, die solche Menschen selten einstellten. Es war einfacher, ihn am Ende in Ruhe zu lassen. Er nahm je nach Situation ab und an Maßnahmen und Bewerbungstrainings teil, damit er seine Mitwirkung nachgewiesen hatte. Im Grunde aber war er nicht vermittelbar. Ihn zu aktivieren, kostete mehr Zeit und Energie, als ihn einfach in Ruhe zu lassen. Er war weder sozial isoliert noch irgendwie in schlechtem Zustand.

Frau Metzger war ebenfalls kaufmännische Angestellte, Mitte 50, sie hatte ihr Ausbildung bei einem großen Unternehmen gemacht, hatte dort gearbeitet und war ab ihrem 30. Lebensjahr in der Abteilung für Verbesserungsvorschläge. Die Abteilung wurde geschlossen, die Mitarbeitenden wurden entlassen, wenn sie sich für eine Abfindung entschlossen. Das hatte sie mehr als zwei Jahre zuvor getan und keine großen Anstrengungen unternommen, eine neue Stelle zu finden. Nachdem sie aber aus dem ALG 1 gefallen war, war nun das Jobcenter für sie zuständig. Sie kam zu uns und die Abfindung näherte sich absehbar dem Schonvermögen – war also so gut wie weg. Wir fanden für sie eine Stelle in einem Callcenter, in dem nur angerufen wurde, um Termine zu bestätigen. Kein Verkauf, kein Stress, in der Regel nette Gespräche. Ich hatte zuvor schon 3 Frauen an diesen (staatlichen) Arbeitgeber vermittelt. Sie wurde nicht übernommen, weil sie arbeitete, wie sie immer gearbeitet hatte. Sie kam, knapp noch pünktlich, kochte sich aber erst einmal in Ruhe einen Tee, lies sich Zeit, macht zwischendurch öfter mal eine „Plapperpause“ mit Kolleginnen. Auch nachdem wir das Verhalten im Coaching angesprochen hatte, konnte sie das nicht ändern.

Das sind natürlich keine Geschichten, die nur eine Person umfassen, sondern mehrere, die ich zusammen gemixt habe.

Manchmal brauchen Menschen auch Zeit. Diese Zeit soll ihnen aber nicht gegeben werden, denn sie sind ja auf dem Papier arbeitsfähig. Herr Klein war so ein Mensch. Er war ausgebildeter Radio- und Fernsehtechniker, früher Unternehmer, musste seinen Betrieb schließen und vor allem noch damit beschäftigt. Er hielt nicht viel von Bewerbungstrainings und hinterfragte viele Dinge, meist mit süffisanten Anmerkungen. Wir fanden für ihn eine Stelle bei einem Fachbetrieb, der medizinische Geräte herstellte. Dort sollte er im Lager Dinge vorbereiten. Er ging dorthin ins Praktikum und hatte ein gute Übernahmechance – und die sollte ihm auch gewährt werden. Ich sollte mit zur Vertragsunterzeichnung kommen und im Gespräch dazu konnte er nicht mehr an sich halten – und erzählte dann, was er wo und wie anders machen würde und was seine Kolleg*innen und Vorgesetzten(!) alles aus seiner Sicht falsch machten. Damit war die Übernahme nicht mehr möglich.

Zwei Jahre später kam er wieder, verändert, war wohl durch das tiefe Tal einer Depression gegangen. Wir konnten ihn ein Praktikum bei einer Elektronikkette verschaffen und er wurde dort übernommen. Er blieb dort ein paar Jahre und ist heute in Rente.

Arbeitslosigkeit ist komplex. ich weiß aus eigenem Erleben, dass die zentrale Frage bei der Überwindung bleibt: gibt es eine Arbeitsstelle, die meinen Vorstellungen entspricht oder nicht. Wenn es die nicht tut, gibt es eine, die so nah wie möglich an diesen Vorstellungen ist. Wenn es da gar nichts gibt, aus vielfältigen Gründen – was genau kann sich der*die Arbeitssuchende dann vorstellen. Etwas völlig anderes? Eine Übergangslösung – während der man weiterhin Bewerbungen schreibt für das, was man tatsächlich möchte?

Und wenn man das tut – wie lange hält man das aus? Wie lange, wie oft hält man aus, dass man oft genug erst gar keine Antwort auf sein Bewerbungsschreiben bekommt? Wie oft hält man aus, dass man eine Absage nach der anderen bekommt – weil Personalverantwortliche nach ganz eigenen Kriterien entscheiden? Wie lange und wie oft hält man das aus, ein Vorstellungsgespräch zu haben und dann viel Hoffnung zu haben – um dann enttäuscht zu werden?

Ich habe Bewerber*innen erlebt, die bewusst eine schlechte Bewerbung abgeschickt haben. Manchmal nur einen Lebenslauf, gefaltet, in einem normalen Briefumschlag, um Porto zu sparen. Die alles dafür getan haben, nicht eingeladen zu werden – weil sie die Hoffnung nicht mehr ausgehalten haben. Die, als eine Übernahme nach dem Praktikum möglich wurde, eingeknickt sind, Angst vor der Probezeit hatten, Angst, vor dem erneuten scheitern. Manche wurden krank, wenn ich eine Praktikumsstelle mit der Chance auf Übernahme gefunden hatte.

All diese Menschen, von denen es viel mehr gibt, als man gemeinhin annimmt, sind betroffen von der Maßnahmen, die Friedrich Merz jetzt ankündigt. Die er ankündigen kann, weil SPD, Grüne und FDP das Bürger*innengeld zu Hartz V gemacht haben, obwohl sie etwas anderes versprochen hatten – und für einen kurzen Zeitraum nahezu eingeführt hatten. Menschen, denen es eh schon schlecht, die bildlich schon am Boden knien oder liegen, noch einen Tritt verpassen, sie einschränken, kontrollieren und drangsalieren – anstatt sie zu unterstützen. Wohlwollen zu sein. Und hinzunehmen, dass es ein paar wenige gibt, die ein solches System ausnutzen. Oder sich mit ihrer Situation arrangieren.

Was helfen würde, wäre ein Bedingungsloses Grundeinkommen. Ein Grundeinkommen, das den soziokulturellen Mindestbedarf abdeckt. Der den Menschen die Freiheit lässt, zur Ruhe zu kommen, sich klar zu werden, was sie wollen – ohne dass ihnen ständig jemand im Nacken sitzt und 5 Bewebrungen im Monat von ihnen verlangt (die sie dann an einem Vormittag runterschreiben, gleicher Text, gleiches Bild, gleicher Lebenslauf) und die oft keinen Sinn machen. Sinnhaftigkeit für zu Einsichten, sinnloses agieren zu Frust und Wut. Auch Arbeitsuchende haben ein Recht auf Würde.

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Team Wagenknecht

Sehr guter Text. BGE muß sowieso kommen, weil die KI gerade in der Verwaltung extrem viele Arbeitsplätze vernichten wird.

Ralf

Herzzerreißende Beispiele. Problem nur, dass jemand dieses Vorhaben bezahlen muss. Solch vor Mitgefühl triefende Beispiele über den hart arbeitenden Teil der Bevölkerung liest man leider selten. Da ist es leichter zu argumentieren, dass man Leute, die es sich in der sozialen Hängematte bequem gemacht haben, doch lieber in Ruhe lassen soll.
Auf kaum einem anderen Fleck der Welt hat man so viel Verständnis für eine Dame, die halt erst mal einen Tee macht, wenn sie zur Arbeit erscheint. Da holt einen die Realität (knurrender Magen) schnell ein.
Wahnsinn, in was für einer Parallelwelt manche Menschen leben. Wenn man es nicht besser wüsste würde man es für Satire halten.

Realist

Das BGE muss auch erwirtschaftet werden. Bedeutet: Ich stehe tagtäglich auf und gehe arbeiten, um anderer Menschen Nichtstun zu finanzieren.

Wer aufgrund von Behinderung oder Krankheit etc. nicht arbeiten KANN – der bezieht zurecht seine Stütze.

Wer aber KANN und nur nicht WILL – der sollte garnichts bekommen.
Das würde der Motivation sehr zuträglich sein.

Ich für meinen Teil sehe es nicht ein, das Nichtstun anderer mit meiner Produktivität mitzutragen.

Aber vielleicht mögen Sie den Menschen, welchen ihr Mitleid gilt, ja monatlich ein paar Euro überweisen, damit diese besser leben können.
Offensichtlich wären sie ja privilegiert genug, dass es Ihnen nichts ausmachen dürfte.